Blankes Entsetzen
Grund, sich um sie zu sorgen.«
»Wusste sie von dem Brief?«
»Mike Novak hatte ihr davon erzählt. Ich fragte sie, ob sie wüsste, wer ihn geschrieben haben könnte, aber sie wirkte völlig perplex, schien nicht die leiseste Ahnung zu haben.« Er hielt inne. »Ich habe herauszufinden versucht, ob ihre Situation ein Risiko für ihre Kinder darstellte, aber sie verneinte. Sie wirkte sehr entschieden, was das betraf, allerdings nicht im Hinblick auf ihre eigene Person, hatte ich den Eindruck.«
»Wenn sie nicht bereit war, Ihnen zu vertrauen«, fragte Helen, »warum war sie dann überhaupt einverstanden, sich mit Ihnen zu treffen?«
»Vielleicht«, antwortete Allbeury, »war sie gerade sehr verzweifelt, als sie dem Treffen zustimmte, fand dann aber doch alles zu beängstigend. Die Sorge, dass ihr Mann davon erfahren könnte, meine ich, nicht so sehr unser Treffen als solches.« Ihm fiel etwas ein. »Ich erinnere mich, dass sie einen Brandy wollte, sich dann aber doch für Weißwein entschied, falls er es an ihrem Atem riechen würde.«
Helen schüttelte leicht den Kopf.
»Wie ist Bolsover?«, fragte Allbeury leise. »Falls Sie mit mir darüber sprechen können.«
»Er hat sich bei den Verhören recht gut gehalten und zeigt nach wie vor Trauer und Entsetzen.« Sie hielt inne. »Ich bezweifle nicht, dass er ein gewalttätiger Tyrann ist, aber ich weiß nicht, ob er ein Mörder ist.«
Allbeury nickte. »Mrs Bolsover trank nur wenig von ihrem Wein«, sagte er dann. »Sie blieb nicht länger als fünfzehn Minuten mit mir im Pub, dann sagte sie, sie wisse gar nicht, warum sie gekommen sei. Sie dankte mir für mein Interesse, meinte aber, es gebe nichts, das ich für sie tun könnte. Dann ging sie.«
»Sie haben keinen weiteren Versuch gemacht, Kontakt zu ihr aufzunehmen?«
»Nein«, sagte er. »Ich musste ihren Wunsch respektieren. Außerdem wusste sie ja, wo sie mich finden konnte, falls sie mich noch einmal sprechen wollte.«
»Aber das hat sie nie getan.«
Allbeury schüttelte den Kopf.
»Sie sagten, Lynne Bolsover habe nervös und deprimiert auf sie gewirkt«, sagte Helen. »Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Natürlich weiß ich, dass es nach einer solch kurzen Begegnung schwierig ist …«
»Ja«, sagte Allbeury. »Aber ein erster Eindruck bildet sich oft gefährlich leicht, finden Sie nicht?«
Helen war nicht sicher, ob sie bei diesen Worten leisen Spott in den warmen braunen Augen des Anwalts sah. »Welchen Eindruck hatten Sie denn von ihr?«
»Sie wirkte einsam und verzweifelt«, antwortete er.
»Fürchtete sie um ihr Leben? Soweit Sie es beurteilen können?«
»Soweit ich es beurteilen kann, nein. Sie war völlig am Boden und verängstigt, aber mehr aus Schmerz – körperlichem und emotionalem – als aus Angst, getötet zu werden.«
Helen lehnte eine zweite Tasse Tee ab, nahm sich aber noch einen Löffelbiskuit und bekam auch die zwei anonymen Briefe, die der Anwalt für sie geholt hatte, sorgfältig in eine Plastikhülle gesteckt.
»Ich nehme an, Sie brauchen meine Fingerabdrücke wegen des Ausschlussverfahrens«, sagte er. »Bitten Sie Ihre Kollegen, mich zu kontaktieren, um einen Termin zu vereinbaren?«
»Mach ich«, sagte Helen. »Vielen Dank.«
»Gern geschehen«, sagte Allbeury.
»Wissen Sie, warum dieser anonyme Briefschreiber sich ausgerechnet an Sie gewandt hat?«, fragte Helen, während sie zum Aufzug gingen.
»Schwer zu sagen, weil ich nicht weiß, um wen es sich handelt«, sagte Allbeury.
»Offensichtlich jemand«, sagte Helen, »der von Ihrer Vorliebe weiß, unglücklichen Ehefrauen zu helfen.«
Allbeury blieb etwa fünf Meter vor dem Aufzug stehen. »Sie sind skeptisch.«
»Ein wenig, ja.«
»Vielleicht sollte ich Sie beruhigen.«
»Können Sie das?«
Sein Lächeln war bedauernd. »Ich kann Ihnen sagen, dass ich tatsächlich nichts weiter getan habe, als mehreren Frauen meinen juristischen Rat zur Verfügung zu stellen, kostenlos und ohne die bürokratischen Hindernisse der öffentlichen Rechtshilfe.«
»Und das ist wirklich alles, was Sie diesen Frauen anbieten?«, fragte Helen leise.
Allbeury trat vor und drückte auf einen Knopf neben der Fahrstuhltür. Die Tür glitt nahezu geräuschlos auf.
»Was sollte da sonst noch sein?«, fragte er mit einem Lächeln.
Helen hatte Ally King bereits gebeten, sowohl Allbeury als auch Novak durch HOLMES laufen zu lassen, die Datenbank des Innenministeriums, doch es hatte sich nichts ergeben, das einen der beiden Männer
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