Blankes Entsetzen
einem Privatdetektiv mit einem freundlichen Gesicht und einem reichen und vermutlich mächtigen Mann, der zu wissen behauptete, wie er gewisse Dinge bewirken könne.
Aber wie bewirkte er sie? Wie konnte jemand eine Frau und ein Kind aus einer Welt verschwinden und in einer anderen, die angeblich glücklicher und sicherer war, wieder auftauchen lassen? Mit viel Geld, offensichtlich – und indem er auf irgendeine Weise gegen das Gesetz verstieß.
Aber warum – und dieser Gedanke kreiste immer wieder durch Joannes Kopf – wollte Robin Allbeury, der reiche und mächtige Anwalt, für den sie ein Niemand war, das alles für sie und Irina tun? Warum wollte er so viel Geld für sie ausgeben?
Warum?
Und wann?
Denn wenn es noch viel länger dauerte, würde sie die Nerven verlieren.
37.
»Michael Novak hat für Sie angerufen«, sagte Ally King zu Helen. Diese war gerade vom Mittagessen mit ihrer Schwester Laura zurückgekommen, die mit ihrem Mann Gary und den Kindern in Manchester lebte und für einen Tag zu Besuch war. »Ich habe eben einen Zettel auf Ihren Schreibtisch geklebt.«
Helen war überrascht. »Was wollte er?«
»Er sagte, er sei gerade in der Gegend und wollte wissen, wie es den Bolsovers geht.« Constable King war sich bewusst, dass Helen nach wie vor unzufrieden mit den Ermittlungsergebnissen im Bolsover-Mord war, auch wenn das Team inzwischen in einem neuen Drogenfall ermittelte. »Offenbar machte er sich Sorgen, wie die Kinder damit zurechtkommen.«
»Ach, wirklich?«
King hörte den Spott in Helens Stimme, und ihre hübsche Stirn legte sich in missbilligende Falten. »Ich weiß, Sie denken immer noch, dass mit ihm und Allbeury etwas nicht stimmt, aber Sie verdächtigen die beiden doch nicht wirklich?«
»Des Mordes?« Helen schüttelte den Kopf. »Nein. Schließlich haben wir unseren Täter.«
»Im Ernst«, beharrte Ally King. »Ich meine, wenn Sie einen Grund haben …«
»Habe ich nicht«, erwiderte Helen.
King wusste, wann ein Thema beendet war. »War es ein nettes Mittagessen?«
»Nicht besonders.«
King gab auf und machte sich wieder an die Arbeit, während Helen an ihren Schreibtisch ging. Das Essen mit ihrer Schwester war nervenaufreibend gewesen, weil Laura über nichts anderes geredet hatte als über das neue Haus, das Gary und sie kaufen wollten, und wie gut es den Kindern gefiel und was für ein großartiger Ehemann Gary sei und wie viel Helen sich entgehen ließe.
»Ehrlich, du hast ja keine Ahnung«, hatte Laura gesagt – und nicht zum ersten Mal.
»Ich weiß«, antwortete Helen und versuchte, sich auf ihre Spaghetti zu konzentrieren.
»Wenn du dir nicht bald über die wirklich wichtigen Seiten des Lebens Gedanken machst, Helen, dann …«
»Ist es zu spät.«
»Genau«, sagte Laura.
Helen fragte sich, was Laura wohl denken würde, wenn sie Lynne Bolsovers Leiche in dem Schrebergarten gesehen hätte, den schrecklichen Zustand, in dem die Tote gewesen war und das grausige Missverhältnis zwischen ihrem verwesten Körper und dem Pullover und den Jeans, in die er noch gekleidet war. Das war definitiv nicht Lauras Vorstellung von den »wichtigen« Seiten des Lebens – aber verdammt wichtig für Lynnes Familie.
Und für sie.
Sie hatten jeden Stein umgedreht. Und dann hatte die kleine Kylie Bolsover den blutverschmierten, in Stoff eingewickelten Stein gefunden, und das Gesetz rief Juhu! und legte sich auf die sprichwörtliche faule Haut.
Nein, natürlich verdächtigte sie Novak nicht, Lynne Bolsover ermordet zu haben. Und auch Allbeury nicht. Zumindest glaubte Helen nicht, dass sie es waren. Aber ob dieses seltsame Paar nun etwas mit dem Mord zu tun hatte oder nicht – Helen fand Allbeurys private Aktivitäten nach wie vor beunruhigend. Irgendetwas erinnerte sie an die Anwälte, die in der Hoffnung auf eine profitable Schadenersatz-Klage jedem Krankenwagen hinterherlaufen.
Private und unbezahlte Arbeit, rief sie sich zum wiederholten Mal in Erinnerung. Was das Ganze entweder noch lobenswerter oder noch seltsamer erscheinen ließ, je nachdem, wie zynisch man es betrachtete. Und ihre eigene Betrachtungsweise war sehr zynisch.
Dass Novak sie angerufen hatte, bedeutete gar nichts.
Nur dass es eine vielfach bewiesene Tatsache war, dass manche Mörder sich gezwungen fühlten, so dicht wie möglich an den Ermittlungen in ihrem Fall zu bleiben.
Du übertreibst, Helen.
Sie sah sich die Notiz an, die King geschrieben hatte, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer von Novak
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