Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
Vom Netzwerk:
aufgestellt, sodass ihre Schwingen symmetrisch das Rednerpult beschatteten, und die Klassenvorstände hatten den amtsbekannten Rabauken eingeschärft, wie verheerend die Konsequenzen sein würden, wenn sie sich während der Feier danebenbenähmen. Als sich die Schüler im Prälatenhof versammelten und Klasse für Klasse ihre Plätze bezog, blickte Johannes in das Gesicht eines jeden Vandalen. Die Drohungen und Warnungen schienen Wirkung gezeigt zu haben; die Krawattenknoten waren ordentlich gebunden, die Haare einigermaßen frisiert, und keine Hosentasche schien ausgebeult genug, um Unruhestifterwerkzeug zu beherbergen. Die ersten Reihen waren mit Reserviert – Schildern ausgelegt und füllten sich kurz vor Veranstaltungsbeginn mit Anzugträgern aus dem Aufsichtsrat des Trägervereins der katholischen Ordensschulen sowie hochrangigen, dem Verein nahestehenden Politikern der konservativen Partei, die Johannes an der Art erkannte, wie sie ihr Haar mit Gel zurückgekämmt hatten. Der Subprior hatte sie auf seinem Beruhigungsspaziergang durch verborgene Klostergänge in ihren teuren Autos ankommen sehen und danach auf dem Weg in den Prälatenhof einen Stopp im Messweinkeller eingelegt.
    Nachdem die Veranstaltung mit einem gemeinsamen Gebet eröffnet worden war und der Schulchor die Landeshymne gesungen hatte, bei der Luftinger die Hand auf seine linke Brust gedrückt hielt, zückte Johannes ein leeres Heft und drapierte es auf seinem Schoß, um mitzuschreiben. Auf dem Programm waren sieben Redner verzeichnet, und Johannes dachte, dass einer womöglich etwas Relevantes sagen könnte, doch nachdem die ersten beiden Redner es vollbracht hatten, fünfzehn Minuten lang über Nichts zu sprechen, klappte er sein Heft zu. Die Selbstbeweihräucherung, unbegründeten Lobeshymnen und anbiedernden Witze der Politiker und Wirtschaftstreibenden, die hier zusammenkamen, um ihre Machtübernahme des alpinen Bildungszentrums zu feiern, widerten ihn an. Nicht einmal in St.   Peter am Anger gab es so grausame Reden, meinte er, obwohl er dem Bürgermeister einst hatte zuhören müssen, als dieser eine Geburtstagsrede auf das älteste Schwein des Dorfes gehalten hatte. Johannes beschloss herauszufinden, wie der Digamma-Klub mit dieser unerträglichen Feier umging, und reckte seinen Kopf, um die Lage auszukundschaften – er konnte niemanden entdecken. Von diesem Moment an schenkte er dem Geschehen auf dem Podium keine Aufmerksamkeit mehr. Das Letzte, was ein Mitglied des Digamma-Klubs je getan hätte, wäre, einer Schulveranstaltung fernzubleiben. Er musterte die Gesichter seiner Mitschüler. Alle blickten sie auf ihren Stühlen zusammengesunken gelangweilt auf die Hinterköpfe der Vordermänner. Erst als Johannes Pater Jeremias sah, der einen versteinerten Gesichtsausdruck des Grauens aufgezogen hatte, seit er sich am Vortag aus dem Krankenhaus selbst entlassen hatte, um das Unheil zu beobachten , erkannte er, dass er mit seiner düsteren Ahnung nicht allein war. Und ganz wie Pater Jeremias früher gepredigt hatte, als ihn die Mönche noch Messen hatten lesen lassen, kam das Unheil vom Himmel hernieder – mit tönendem Pfeil, wehendem Bogen und steinernen Schwingen: Nachdem der Chor ein Marienlied gesungen hatte, ging Luftinger ans Podest, um seine Antrittsrede zu halten, viel Gehör wurde ihm jedoch nicht geschenkt. Pauken und Trompeten ertönten, hallten laut im Prälatenhof wider, der aufgrund des fehlenden Springbrunnens über eine ausgezeichnete Akustik verfügte. Wie es sich für Klerikale gehörte, dachten die Mönche, ein Wunder würde kommen, aber Johannes, der Richtung Musikzimmer blickte, sah, dass dort die Boxen der hochleistungsstarken Musikanlage ans geöffnete Fenster getragen worden waren. Schüler, die bis zu diesem Moment auf ihren Stühlen geschlummert hatten, saßen mit einem Schlag aufrecht; alle blickten um sich und entdeckten, dass jedes dritte Fenster im Prälatenhof geöffnet war, wie durch Zauberhand und irgendwie verheißungsvoll. Luftinger starrte die Boxen an, die der Trägerverein zur Vermittlung von Volksliedgut angeschafft hatte, dann schrie er in sein Mikrofon, doch nichts war zu hören – die Trompeten waren zu laut, und das Mikrofon funktionierte nicht mehr. Kurz darauf jedoch hatte Luftinger andere Sorgen, denn Wind kam auf, der aus den geöffneten Fenstern Hunderte von Zetteln trug, die als Flugblätter durcheinanderwirbelten, miteinander kollidierten, auf die Schüler niederregneten oder von ihnen

Weitere Kostenlose Bücher