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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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St.   Peter ein für allemal zu verschlucken. Wie ich jedoch mit eigenen Augen gesehen habe, ist dies bisher noch nicht eingetreten.

Der fallende Engel
          
    Mit jedem Tag, den Johannes älter wurde, nahm die Lektüre von Geschichtsschreibung einen höheren Stellenwert in seinem Leben ein. In seiner Einsamkeit gab ihm die Beschäftigung mit der endlosen Vergangenheit das Gefühl, selbst nur ganz klein zu sein. Egal ob er nun Mitglied im Digamma-Klub war oder nicht, die Welt würde sich weiterdrehen, und so zog sich Johannes tief in die großen Geschichten der Zeitläufe zurück, um abzuwarten. Das war alles, woran er sich klammern konnte, nachdem er selbst mit Pater Tobias keinen Kontakt mehr hatte, da dieser offensichtlich von den Geheimgängen im Vatikan verschluckt worden war.
    Ilse und Alois blieb nicht verborgen, dass ihr Sohn seltsam betrübt wirkte, doch Johannes wollte nicht mit ihnen sprechen und sagte stets: »Das versteht ihr nicht.«
    Ilse erinnerte sich an ihre eigene Jugend und glaubte schließlich, Johannes sei unglücklich verliebt, so wie sie es einst in Reinhard Rossbrand gewesen war. Mit Blick auf ihren Ehemann Alois, mit dem sie auch nach fünfundzwanzig Jahren Ehe noch überaus glücklich war, hoffte sie, Johannes würde es genauso gehen wie ihr selbst und er würde durch die unglückliche Liebe letztlich zur großen Liebe finden. Ilse ahnte nicht, dass Mädchen das Letzte waren, worüber Johannes sich Sorgen machte. Mädchen interessierten ihn überhaupt nicht, er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf sein Studium, und die arme Alina Naumann, die unglücklich in ihn verliebt war, wurde stetig dicker. Wann immer sie Johannes nämlich einen liebevollen Blick zuwarf, den er weder registrierte noch erwiderte, lief sie zum Schulbuffet und besorgte sich drei Schokoladenriegel.
    Während es in der Schule drunter und drüber ging und das abweisende Verhalten von Albert, Severin, Ferdinand und Mauritz andauerte, verbrachte Johannes jede freie Minute in der Bibliothek und begann eines Tages, die Schulchroniken zu lesen. Es heiterte ihn auf, dass es neben Luftinger im Laufe der Jahrhunderte andere schreckliche Zeitgenossen gegeben hatte, die viel näher daran gewesen waren, das Unheil zu bringen, das Pater Jeremias der aktuellen Situation prophezeite. Er las von der Reformation, die das Kloster fast menschenleer gefegt hatte, von Napoleon, der in den Schlafsälen der Internatsschüler seine Pferde untergebracht hatte, vom Zweiten Weltkrieg, als die Russen zur Plünderung angerückt waren und letzten Endes nur im Weinkeller gewütet hatten. Und jede Katastrophe überwindend ging die Geschichte weiter, als wäre sie unantastbar, egal wie sehr sich der Mensch bemühte, sie zu lenken.
    Als der Schnee auch in den Bergen geschmolzen war und die Vögel so laut den Frühling besangen, dass man sich im Klostergarten kaum noch unterhalten konnte, machte Johannes eine Entdeckung. In einer der Chroniken des Lenker Klosters fand er einen Vermerk zum kopflosen Engel, der im Prälatenhof stand. Johannes riss die Augenbrauen hoch, als er erfuhr, wen diese beeindruckende Statue in Wirklichkeit repräsentierte: Sie war nämlich gar kein Engel, sie war eine Nachbildung der Nike von Samothrake, der großartigen griechischen Plastik, die die Göttin des Sieges in jener von Bewegung erfüllten Pose abbildete. Johannes konnte gar nicht glauben, welche Spur er da aufgenommen hatte; die Nike von Samothrake zählte zu den Meisterwerken der bekannten Bildhauerkunst – jahrelang hatten der Digamma-Klub und er die Hellenen verehrt, aber nie gemerkt, dass sie eines der großartigsten Denkmäler ihrer Hochkultur direkt vor der Nase hatten, noch dazu zum katholischen Engel verklärt. Er war sich sicher, wenn er seinen Freunden von seiner Entdeckung erzählte, würden sie ihn wieder in ihren Kreis aufnehmen und sehen, dass er es wert war, ihre Geheimnisse zu teilen. Kaum dass er den Absatz zum dritten Mal gelesen hatte, schlug Johannes das Buch zu, klemmte es unter den Arm und lief los, um den Digamma-Klub zu suchen. Er wusste, dass sie, wenn sie schon im Griechischkämmerchen Platz genommen hatten, bei seinem Anblick nicht fliehen würden, um keine Sekunde des Unterrichts zu verpassen. Leider war der Digamma-Klub von Johannes’ Entdeckung nicht sonderlich beeindruckt.
    »Das wissen wir doch schon lange«, sagte Mauritz und gab sich keine Mühe zu verhehlen, wie unangenehm es ihm war, dass Johannes sie so überfiel.
    »Wir

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