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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Reihe. Sie war zwar nicht schlank, aber für eine dreifache Mutter hatte sie eine fabelhafte Figur, wie sich die Dorfburschen gerne zuflüsterten. Aus beruflichen Gründen bestellte sie immer die neusten Schönheitsmagazine nach St.   Peter, die allerdings erst drei Wochen nach Erscheinen in ihrem Salon ankamen. An ihr hatten all die Bilder von Mode- und Hollywoodstars Spuren hinterlassen.
    Nach kurzem Fußweg erhob sich der Dorfplatz über der Hauptstraße, und wie ein Schlagobershäufchen glänzte die Kirchturmspitze über allem. Egmont hatte anlässlich des Fronleichnamsfestes den Turm vom Fledermauskot befreit und diesen als Wunderdünger an eine Gärtnerei im Tal verkauft. Von den Einnahmen hatte die Pfarrersköchin Grete violette Stoffe gekauft und den Ministranten neue Gürtel genäht.
    Liebe zivilisierte Freunde, die Ihr mit der Folklore der Bergbarbaren nicht sonderlich vertraut seid, was ein Zeichen Eurer Intelligenz ist, wisset über jenes Fest: Fronleichnam – oder auch Hochfest des Leibes und Blutes Jesu Christi genannt – ist eines der liebsten und wichtigsten Feste für die katholischen Bergbarbaren von St.   Peter am Anger. Sie feiern damit die leibliche Gegenwart von ihrem Helden Jesus in der Eucharistie, sprich: Sie sind der festen Überzeugung, Jesus Christus sei in dem Stück Brot, das sie zur Kommunion einnehmen, leiblich anwesend. Zuerst feiern sie eine Freiluftmesse auf dem Dorfplatz, danach wird das Allerheiligste (= eine konsekrierte Hostie) in einer Prunkmonstranz vom Priester durch das Dorf zu verschiedenen Außenaltären getragen, wo kurz Andacht gehalten wird. Diese Prozession hat eine strenge Marschordnung, und einen Altar errichten zu dürfen bedeutet für eine Familie höchste Ehre. Die Dorfbewohner schmücken dieses Fest dadurch, daß die kleinen Mädchen Blumen vor des Pfarrers Füße streuen, während die Buben mit Altarschellen möglichst viel Lärm erzeugen und die Männer mit ihren Jagdgewehren Salven in den Himmel feuern – alles, um Jesus zu begrüßen. Als ob er taub wäre.
    Der Freiluftmesse vor der Kirche wohnte Johannes an der Seite seiner Mutter bei, die Stoßgebete flüsterte, der Bursche möge nun endlich Ruhe geben und für immer im Dorf bleiben. Alois stand mit den anderen Männern, die nicht bei der Blasmusik oder im Gemeinderat, folglich also bei der Feuerwehr waren, hinter den Gläubigen Spalier. In Uniformen, unter einheitlichen Hüten, im selben breitbeinigen Stand konnte man sie nur an der Größe des Bierbauches unterscheiden. Johannes blickte während der Predigt oft auf die Uhr und verstand, warum keine einzige St.   Petrianerin Schuhe mit Absatz zu den Kleidern trug. Einer Feldmesse im Freien wohnte man stehend bei, nur für die Pensionisten standen vor dem Freiluftaltar Sitzgelegenheiten parat, und Johannes entdeckte die Großväter Rettenstein, Ebersberger, Rossbrand und Hochschwab, die in der ersten Reihe saßen, ihre Frauen mit Kopftuch dahinter.
    Kaum dass der Pfarrer den Schlusssegen gesprochen und Egmont die Glockenanlage eingeschaltet hatte, die den Beginn der Prozession so laut einläutete, dass sich einige Mädchen die Ohren zuhielten, postierte sich Johannes auf der Kirchenstiege. Er wollte die Formation beobachten, bevor er sich unauffällig am Ende einreihen würde. Mit Trommelrasseln begann die Blasmusik den ersten Marsch. Geschäftig wuselten die St.   Petrianer herum, tauschten Plätze, grüßten sich aus den Mundwinkeln und nutzten eine breite Palette versteckter Gesten, um sich später für ein Bier im Wirtshaus zu verabreden – dabei aber den Eindruck zu erwecken, sie beteten. Als die Musik aussetzte, hörte man das bis dato übertönte Flüstern. Ruckartig verstummte die Menge, Pfarrer Cochlea blickte strafend unter dem tragbaren Baldachin hervor, den man in der Alpenrepublik auch Himmel nannte, um die letzten verstohlenen Flüsterer zur Andacht zu bringen. So still, wie ein Frühsommertag sein konnte, war es auf dem Dorfplatz, bis der Marschmeister seinen bändchenbehangenen Taktstock hob, der Paukenspieler sechs wuchtige Schläge auf das Fell hämmerte und die Trompeter zum Abmarsch bliesen. Etwas stockend setzte sich die Menge in Bewegung, und die Bläser brauchten fünf Takte, bis die jüngeren Nachwuchsspieler in den Gleichschritt gefunden hatten. Unter dem königsroten, mit Goldfäden bestickten Brokathimmel, der an Messingstangen von vier Himmelsträgern aufrecht gehalten wurde, wandelte der Pfarrer, gehüllt in weißes

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