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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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nämli g’sagt, de Maria hättat g’sagt, du warast ihr z’deppert.«
    Günther bebte – vor einem Ministranten, der halb so groß war wie er, wollte er sich keine Blöße geben. Sein Gang beschleunigte sich, sehr zum Entsetzen der anderen Himmelsträger, die beim Versuch, die Stange nicht zu verlieren, über ihre Füße stolperten. Er hatte den voranschreitenden Verstärkerträger Wenzel schon unter den Himmel geholt, der Pfarrer war plötzlich nicht mehr im Zentrum, sondern unter dem hinteren Teil des Himmels und beschleunigte hastig seinen Gang, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die Ministranten blickten verwirrt um sich. Panisch stellte Johannes fest, dass Günther im Begriff war, auf ihn zuzustürmen. Günther dachte jedoch nicht an die Trauerweide, die ihre Äste auf die Hauptstraße hängen ließ. Er rasierte mit dem Ornamentenaufsatz, der die Himmelstange oberhalb des Stoffes abschloss, die ersten Äste kahl – er war keiner, der einem Hindernis auswich. Günther Pflickers Lebensstrategie war, so lange gegen ein Hindernis anzulaufen, bis entweder das Hindernis nachgab oder ein Unglück geschah. Und in diesem Moment, als er blind vor Wut die Himmeldelegation mitriss, war es ein Unglück, das folgte. Mitten im Geäst der Weide verhakte sich der Brokathimmel, die Trauerweide ließ sich nicht von dem ungestümen jungen Mann beeindrucken, und kaum dass er sich versah, hatte Günther Pflicker nur noch die Tragestange in der Hand. Kurz noch hing der Stoff in den Weidenästen fest, Maria stöhnte auf, legte die Handflächen auf ihren Bauch, als wollte sie den Babys die Sicht versperren, und im nächsten Moment ratterte der barocke Brokatstoff durch die Äste und segelte mit reichlich Weidenblättern zu Boden. Drei der Ministranten reagierten flink und hüpften zur Seite, doch der Pfarrer, ebenso wie der kleine Wenzel, der die Last des Verstärkers zu tragen hatte, konnten nicht mehr ausweichen.
    »Maria Mutter Gottes!«, tönte ein lauter Schrei aus den Lautsprecherboxen, die noch mit dem Funkmikrofon des Pfarrers verbunden waren, als jener schon gar nicht mehr zu sehen war. Die versammelte Pfarrgemeinde hörte, wie das Rauschen des schweren Stoffes übertragen wurde, der den Pfarrer zu Boden gerissen hatte. Heilige Schimpfwörter fielen, panisch rief der Pfarrer nach Egmont, der jedoch stand auf dem Kirchturm und war wie gelähmt, als er mit guter Aussicht beobachtete, wie dem Pfarrer der Himmel auf den Kopf fiel.
    Was folgte, war ein Moment andächtiger Stille, wie es ihn während der ganzen Prozession nicht gegeben hatte. Mit schrägen Tönen war die Blasmusik verstummt, ebenso das gesamte Dorf, plötzlich war niemandem mehr nach Schnattern und Tratschen zumute. Sogar die Frühlingsvögel hielten die Luft an. Alles richtete die Augen auf den purpurroten Himmel, der wie ein Teppich mitten auf der Dorfplatzstraße lag. Nur an der Stelle, wo er den Pfarrer und Wenzel Rossbrand begraben hatte, krümmten sich ein knorriges langes und ein pummeliges kleines Häufchen. Als der Lautsprecher das Stöhnen des alten Pfarrers übertrug, löste sich das Dorf aus seiner Erstarrung, und alle liefen hektisch durch die Gegend, um den Pfarrer auszugraben. Johannes reckte den Kopf, bis er zwischen zwei Rücken die goldene Monstranz erspähte, die der Pfarrer mit ausgestrecktem Arm in die Höhe zu halten versuchte. Schräg davor stand Günther Pflicker, bewegungslos und mit offenem Mund, als ob seine Gedankengänge wie bei einem überlasteten Computer hängen geblieben wären. Daneben stand Bastl Kaunergrat und grinste glücklich. Johannes merkte, dass dies der richtige Zeitpunkt für einen Abgang war.
    Liebe zivilisierte Freunde! Laßt mich einige Worte über die hierarchische Struktur der Bergbarbaren verlieren, die mir beim Besuch jenes Festes bewußt wurde und die Aufschluß über ihre Lebensweise gibt. Die Bergbarbaren sind Herdentiere. Das Konzept des selbstbestimmten Individuums ist ihnen fremd, das Kollektiv bestimmt das Leben des einzelnen. Bereits mit dem Erwerb der Sprachfähigkeit schickt man die Kinder in die Jungschar, eine katholische Organisation, die zwar offiziell dazu da ist, den Glauben zu leben, in Wahrheit – wie ich aber berichten kann – bereits die Jüngsten manipuliert, so daß diese die Werte des Kollektivs annehmen. Sonntags müssen Jungscharkinder ministrieren, was, wie man zu Fronleichnam gesehen hat, mit körperlicher Gefährdung einhergeht. Diese Jungschar wird geleitet von jungen

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