Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
waren lange nicht benutzt worden und lehnten auf den Vorderbeinen an der Tischplatte. Peppi stapelte sie und trug sie beiseite. Er zog sich den Ärmel seiner Trainingsjacke über die Faust und polierte die Tischfläche.
»Oiso, hiazn wird gepfitschigoggerlt. Und i versprech’s – ma kann sie net wehtun. Hast du zwei Geodreieck?«
Ohne Rückfrage marschierte Johannes ins Haus. Auf der Treppe begegnete er Ilse, die einen Wäschekorb ins Bügelzimmer trug, da sie die freie Zeit, die durch den frühzeitigen Abbruch des Fronleichnamsfestes entstanden war, für Hausarbeit nutzen wollte.
»Sag amoi Johannes, is des do draußn da Peppi Gippel?«
»Jap«, antwortete er, doch ohne auf ihre Fragen, was denn der Peppi hier mache und seit wann sich denn der Johannes und der Peppi näher kennen würden, zu reagieren, drückte er sich an ihr vorbei. Ilse staunte. Peppi Gippel war eine der größten Legenden in St. Peter am Anger, vor allem seit dem Hattrick gegen den FC Lamprechtshofen vor drei Wochen. Jeden Montag spielten die Kindergärtnerinnen von St. Peter mit ihren Kindern das Spiel Wenn ich groß bin, will ich … werden , und seit drei Wochen antworteten alle Buben nichts anderes als: Wenn i groß bin, will i Peppi Gippel werden. Ilse freute sich, konnte dennoch nicht recht glauben, dass ausgerechnet ihr Sohn mit Peppi Gippel den Nachmittag verbrachte.
Als Johannes mit zwei Geodreiecken aus seiner vierzehn Stück umfassenden Messgerätesammlung zurückkam, glänzte der Plastiktisch wie ein frisch lackierter Sportwagen. Petzi war zum Zuschauen gekommen, hatte sich unter einen Rhododendronstrauch gelegt und schleckte sich faul den Bauch. Kaum begann Peppi zu erklären, spitzte der Kater die Ohren.
»Oiso, erstens: beim Pfitschigoggerln is da Platz des Wichtigste. Da muss ma reinli sein! Bei klinischer Sauberkeit flutscht da Ball am besten.« Aus der Innentasche seines Trainingsoutfits zog Peppi eine Geldbörse, die an einer Metallkette hing. »Oiso, des sand de Spieler.« Peppi kramte zwei alte Fünfschillingmünzen heraus und legte sie auf die Spielfläche. »Und des is da Ball«, sagte Peppi zu einer kleinen Zweigroschenmünze. »Die Geodreiecke sand de Schießbretter, mit denen bewegt ma de Spieler und versucht, den Ball hinter die Torlinie zum Schießen. Zu wildes Fetzen is verbotn, wird mit Freistoß vom Tatort bestraft. G’spielt wird abwechselnd, amoi du, amoi i. Aber vor an jedem neuen Spielzug muss der alte voi vorbei sein, des heißt, alle Spieler und da Ball müssn zur Ruh kommen sein. Fallt der Ball übern Rand, gibt’s an Flachhandeinwurf, und als Torstangen werden die Finger verwendet – gelt?«
Johannes begutachtete Geodreieck, Münzen, Tisch und meinte, die wichtigsten Regeln verstanden zu haben. Sie postierten sich, und Johannes bekam den Anstoß. Konzentriert waren die beiden über den Tisch gebeugt, ließen die Münzen hin und her flutschen, manchmal jubelte einer, dann fluchte der andere. Johannes schrie: »Heureka!« Peppi verstand dieses Wort nicht, kommentierte es aber in seiner eigenen Sprache mit »Bahöl«. Und auch bei allen weiteren Toren, Freistößen, Einwürfen, Fouls, Fehlern und Punkten beschallten zwei Sprachen den Irrwein’schen Garten, die doch dasselbe sagten:
»Zeus! Beim heiligen Herodot! Dios! Kakos! Echthros! Aischros!«
»Bam Oida! Fix! Kruzisacra! Leiwand!«
Obwohl keiner hätte erklären können, was der andere von sich gab, verstanden sie sich, und Johannes vergaß vollkommen, dass er Peppi eigentlich aus wissenschaftlichen Gründen hatte befragen wollen.
Liebe zivilisierte Freunde! Kairos, der von uns verehrte Gott des rechten Augenblickes, hat mir heute eine Fährte gelegt, die ich sofort witterte. Er führte mich zu einer Spur, der ich in den nächsten Wochen nachgehen werde, und zwar scheint es, daß die Bergbarbaren die Praxis der Zwangsheirat pflegen. Peppi Gippel und Maria Rettenstein waren vier Jahre lang ein Paar, bis sie sich plötzlich ohne klar erkennbaren Grund von ihm trennte und eine später diagnostizierte Schwangerschaft als von Günther Pflicker verursacht angab. Dies, meine Freunde, scheint mir höchst verdächtig. So müßt Ihr nämlich wissen, daß jene Maria Rettenstein ein zauberhaftes Geschöpf ist, soweit mir bekannt, das einzige Dorfmädchen ohne verdorbene Seele. Peppi Gippel scheint objektiv betrachtet, wie man im Volksmunde zu sagen pflegt, den richtigen Deckel zu ihrem Topf zu haben. Wenn auch einfach gestrickt und mit einem
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