Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
Vom Netzwerk:
unverheirateten Frauen, den Jungscharleiterinnen, die durch diese Aufgabe unter Beweis stellen können, daß sie die Eignung zur Mutterschaft haben. Sobald sie dann Mütter sind, was das oberste Ziel einer jeden Bergbarbarin ist (wie man auch an einem Mädchen namens Maria Rettenstein sehen kann, die sich nicht bis zu ihrer Volljährigkeit Zeit lassen wollte), treten sie zur Mütterrunde über. Junge unverheiratete Männer müssen sich ebenso für das Gemeinwohl engagieren: Sie sind Mitglieder in der Feuerwehr, im Jägerbund, im Bauernbund, im Gemeinderat, im Pfarrrat oder im Handwerkerkreis, denen sie bis zu ihrem Tod auf Treu und Ehr verbunden bleiben müssen. Und nun ein wichtiger Punkt, den Ihr bedenken müßt, meine zivilisierten Freunde: Die Bergbarbaren zelebrieren, wie Ihr anhand meiner Schilderung dieses Festes gesehen habt, ihre bescheidene Eigenkultur mit Pomp und Inbrunst und glauben, ihre Kultur sei über die der Zivilisierten erhaben. Sie spielen Blasmusik, die jeglicher Harmonie entbehrt, pflegen Fußball auf einem abschüssigen Rasen, malen auf ihre Wohnhäuser alpine Blumenfresken, führen übles Volkstheater mit derbem Jargon auf und tragen traditionelle Kleider, die weltweit aus der Mode sind. Bereits in jener Jungschar werden die ästhetischen Ideale der Kinder so manipuliert, daß sie ihre Kultur für die beste halten und nicht erwägen, sich mit den Zivilisierten zu beschäftigen. Abwertung des überlegenen Feindes durch Eigenkulturpropaganda ist also die erste ihrer von mir aufgedeckten Kriegsstrategien!
    Da die Dorfstraße aufgrund des Pfarrers Rettung blockiert war und um Günther Pflicker großräumig auszuweichen, entschied sich Johannes, den Heimweg über den Pfarrhof anzutreten, der im 17.   Jahrhundert als Vierkanthof, mit einem Arkadenhof in der Mitte, angelegt worden war. Früher hatten dort Mönche meditiert, und seit diese fortgejagt worden waren, stand der Hof weitgehend leer, nur einmal im Jahr führte die St.-Petri-Laienspielgruppe ihre Volkstheaterinszenierungen dort auf. Wie die meisten Privathäuser war auch der Pfarrhof von St.   Peter am Anger selten abgeschlossen, und so bot er eine gute Abkürzung vom Dorfplatz zum auslaufenden Angerbergplateau, wo Doktor Opa früher gewohnt hatte. Obwohl Johannes schon lange nicht mehr hier gewesen war, lag ihm der Geruch nach feuchten Steinen vertraut in der Nase. Der Pfarrhof war neben der Kirche das älteste Gebäude des Dorfes. Lehnte man sich an die meterdicken Wände, waren sie so kühl, dass man meinen konnte, sie speicherten die Kälte aller Winter seit ihrer Errichtung. Johannes durchquerte den langen Gang, in dessen erstem Stock der Pfarrer, seine Köchin Grete und der Messdiener Egmont ihre Wohnräume hatten. Als er jedoch fast im Arkadenhof angekommen war, hörte er Schritte hinter sich. Johannes erschrak und fürchtete, der Hüne Pflicker sei ihm auf den Fersen, um sich zu rächen. In der Dunkelheit sah er nicht, wer hinter ihm war, also lief er los. Er hörte, dass auch sein Verfolger zu laufen begann, und mit klopfendem Herzen setzte er in den Arkadenhof, rannte um sein Leben, doch sein Verfolger kam immer näher und rief:
    »He, wart auf mi Johannes!«
    Johannes wurde langsamer und drehte sich um. Er hatte seit einer Dekade nicht mehr mit Günther Pflicker gesprochen, aber er war sich sicher, dass das nicht Günthers Stimme sein konnte. Und in diesem Moment tauchte auch sein Verfolger in den Vereinsfarben des FC St.   Peter am Anger aus der Dunkelheit des Ganges auf. Der FC St.   Peter hatte als Vereinsfarben Knallgelb und Knallblau gewählt. Gelb für Sieg, Reichtum, Wohlstand, Sonne – Blau für Männlichkeit, Stärke, Wasser. So hatte man sich das überlegt, leider waren die beiden Farben nicht sonderlich verträglich und taten dem Auge weh. Nun wunderte sich Johannes jedoch, wieso dieser Kerl an einem Feiertag seinen Trainingsanzug trug, und als er näher kam, erkannte Johannes: Hier kam Peppi Gippel angelaufen, der Sensationsfußballer von St.   Peter am Anger, mit dem er als Kind kurze Zeit Fußball gespielt hatte.
    »Servas, Irrwein!«, sagte er freundlich, blieb vor Johannes stehen, streckte ihm die Hand entgegen und schüttelte die Füße aus. Peppi Gippel war so groß wie er selbst, doch viel breiter gebaut und sehr athletisch. Er hatte noch immer ausgeprägt feine Gesichtszüge, schmale hohe Wangenknochen und neuerdings eine platinblonde Frisur, vorne kürzer, hinten länger. Johannes wunderte sich, was der

Weitere Kostenlose Bücher