Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
die Mädchen kurze Kleider trugen. Die Pensionisten stritten um provisorische Sitzgelegenheiten, und die Männer des Dorfes flankierten die Versammlung mit strengen Blicken von den letzten Reihen aus, als ob sie die Frauen, Kinder und Alten beschützen müssten, falls während der Versammlung ein feindliches Heer aus dem Hinterhalt anrückte. Nur die Gerousia aus dem weißen Jeep konnte er nicht entdecken, Johannes vermutete, sie stünden mit geladenen Gewehren beim Rest der Dorfleitung im Stiegenhaus. Johannes räusperte sich. Ein Knäuel Nervosität steckte in seinem Hals, spreizte sich in seiner Speiseröhre wie ein versehentlich verschluckter Hühnerknochen. Er hob beide Hände, wie um zu beweisen, dass er unbewaffnet war, und begann vorsichtig zu sprechen.
»Bürgerinnen und Bürger von St. Peter!«
Kaum verließ die erste Silbe seinen Mund, verstummten auch jene Pensionisten, die sich um die Sitzgelegenheiten im Schatten zankten. Irgendjemand schnäuzte sich und hielt mitten im Pusten inne. Johannes wurde von der plötzlichen Stille beinahe erschlagen.
»Höret, ich habe aus Faulheit Flutlichtanlagenbenefizspieleinladungen an sieben Topvereine unseres Kontinents geschickt.«
Im Hintergrund polterte der Gemeinderat im Stiegenhaus. Er hatte mitbekommen, dass draußen etwas passierte, und nun stritt er, wer als Erstes die Stiegen hinuntergehen dürfe, um den Zug der politischen Würdenträger ins Freie zu führen. Der Stiegenaufgang im Hause Irrwein war sehr schmal und die Gemeinderäte so beleibt, dass ein geordneter Abzug nur im Gänsemarsch möglich war.
»Nun passierte jedoch Unglaubliches, der FC St. Pauli aus Hamburg an der Nordsee hat zugesagt. Der FC St. Pauli 1910 zählt zu den bedeutendsten Vereinen Europas. Ich nehme an, dies ist ein Missverständnis, und ihnen ist gar nicht klar, was für ein kleiner, unbedeutender Verein wir eigentlich sind.«
Noch ein Raunen. Johannes nahm nicht genügend Rücksicht darauf, dass sich die St. Petrianer als Nabel der Welt verstanden und es nie gerne hörten, wenn der Rest der Welt das nicht so sah.
»Beruhigt euch, bitte. Ich habe bereits ein Absageschreiben aufgesetzt, um ihnen zu erklären, warum dies alles ein Versehen meinerseits war. Morgen werde ich das Schreiben versenden, Reinhard Rossbrand, der zuverlässige Poststellenleiter, wird dies höchstpersönlich überwachen.«
Murmeln folgte. Johannes hatte einen trockenen Hals und Schwierigkeiten zu schlucken. Der Gemeinderat war inzwischen draußen angelangt, und wie Moses teilte der Bürgermeister das Menschenmeer, um sich vor Johannes’ Balkon aufzubauen. Die Gemeinderäte hatten zerzaustes Haar, verrutschte Hemden und hochrote Köpfe.
Johannes’ Atmung beruhigte sich ein bisschen, denn es machte den Anschein, als hätten die Dorfbewohner seine Entschuldigung akzeptiert. Dann jedoch geschah etwas, womit Johannes nicht gerechnet hatte.
»Owa wieso?«, fragte eine glockenhelle Stimme. Die Leute verstummten und reckten ihre Köpfe, wer da sprach. »Wieso müss ma des Spiel absagn und können net denan Piefke so richtig in den Oarsch tretn?«, sagte Wenzel Rossbrand und grinste Johannes mit drei Zahnlücken an. Johannes wollte ihm am liebsten die verbliebenen Zähne ziehen, denn plötzlich kippte die Stimmung. Wenzel hatte der Masse einen Floh ins Ohr gesetzt. Ja wieso eigentli net?, flüsterten sich die Leute zu. Könnt scho a Gaudi werdn, sagte irgendwer zu irgendwem. Denan Piefke wollt i immer scho zeigen, wo da Herrgott z’haus is, murmelte ein Fußballer. Aus der Reihe der Dorfburschen schrie schließlich Engelbert Parseier, Sohn des streitbaren Peter Parseier und zentraler Mittelfeldspieler:
»Jo wieso eigentli net? I glaub, des könnt lustig werdn. Unserer Mannschaft tät des sicherli guat, si amoi mit richtige Spieler zum Messen, net immer nur mit de Holzhacker vo St. Michael!«
Johannes hatte noch nie mit Engelbert zu tun gehabt, er kannte ihn nur aus Peppis Erzählungen als denjenigen, der ihm die meisten Flanken für seine Tore auflegte. Zudem hatte er ihn am Sonnwendfeuer Tuba spielen gehört. Doch nun verfluchte er ihn. Johannes wusste nicht, was er sagen sollte. Hilfesuchend wandte er sich an Peppi, aber in dessen Gesicht stand ebenso die Frage Ja wieso eigentlich nicht? . Johannes’ Herz klopfte wie verrückt. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass die St. Petrianer Gefallen daran finden könnten, gegen einen Verein aus der Zivilisation zu spielen.
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