Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Johannes fürchtete sofort, eine große Katastrophe würde eintreten, wenn dieses Spiel tatsächlich stattfände, und so mühte er sich ab, ihnen diese Idee wieder auszureden:
»St. Petrianerinnen und St. Petrianer! Ihr habt recht, die Fußballmannschaft ist auf einem guten Weg, und ja, wäre St. Pauli ein normaler Fußballverein, könnte man das wagen. Aber der FC St. Pauli ist anders! Das ist kein Verein wie die anderen Vereine aus der ersten nördlichen Liga. Denn inmitten der Hafenstadt Hamburg, am nördlichen Meer, gibt es ein kleines Nest, das alle Regeln bricht. Nichts ist dort, wie es andernorts ist. Dieser Ort besteht nur aus Punks, Prostituierten und Anhängern diverser linksorientierter Gruppierungen! Kommunisten! Anarchisten! Die Menschen haben rote und grüne Haare! Das heißt, wenn sie überhaupt Haare haben und ihre Glatzen nicht mit brutalen, sexuellen Mustern tätowiert sind!«
Ein Raunen ertönte. Ilse Irrwein bahnte sich einen Weg durch die Menge, um zu sehen, ob da wirklich ihr leiblicher Sohn stand, an dessen Lippen das ganze Dorf hing, während er zu allen sprach. Ilse stellte sich neben Alois, der konzentriert den Balkon fixierte, und ohne einander anzuschauen, nahmen sich Ilse und Alois an den Händen.
Dann räusperte sich Peppi:
»Wenn wir uns ehrli sand, des hat ollas nix mit Fuaßball zum Tun. St. Pauli is vielleicht a wengerl anderst als wia St. Peter, owa wir spüln ja nur gegen de Mannschaft!«
»Verräter!«, flüsterte ihm Johannes zähneknirschend zu.
»Fairplay«, antwortete Peppi leise.
Johannes startete einen neuen Versuch: »St. Pauli ist ein Fußballverein voller treuer Anhänger! Der Verein, ein jeder einzelner Spieler, zelebriert diese St.-Pauli-Philosophie! Ihre eigene Flagge zeigt einen Totenschädel, und ohne Tätowierung darf man nicht in den Fanblock. Die meisten Fans sind noch dazu Kreative! Die hätten Zeit, nach St. Peter zu fahren, und würden unser Dorf mit Liedern voll obszöner Inhalte beschallen! Und apropos obszön, wisst ihr, wie der Präsident, der Verantwortliche für dieses Chaos, sein Verhältnis zum Verein beschreibt?«
Schnell lief Johannes ins Zimmer und holte das Notizbuch, in dem er am Morgen Recherchen zum St. Pauli festgehalten hatte.
»Also, der Präsident vom FC St. Pauli, der höchste Würdenträger, der sagt: So untreu wie ich meinem Ehemann bin, so treu bin ich meinem Verein! «
Johannes räusperte sich und las den Satz noch drei Mal vor, bis alle die Botschaft verstanden hatten, wie er an den geschockten, verwirrten Gesichtern bemerkte. Die St. Petrianer waren peinlich berührt. Hie und da flüsterte einer, doch die meisten starrten Löcher in den Boden.
»Hoaßt des, da Präsident, der wos a Mann is, is mit am andern Mann verheirat und schnackselt trotzdem nu mit andre Männer?«
Wenzel Rossbrand sprach aus, was alle dachten. Johannes wartete darauf, Schützenhilfe vom Pfarrer zu bekommen, doch der segnete Gretes Infusionen im Spital. Die Stille wurde von Peppi unterbrochen:
»Ja mei, Leutln, des schreckt uns hiazn vielleicht, owa dass aner fremdgeht, passiert in de besten Familien, und jo, der Präsident vo St. Pauli is vielleicht vo an andern Fakultät, owa wir sand jo tolerant! Wir sand vielleicht auf da Weiberl-und-Manderl-Fakultät, owa wir könnan trotzdem guate Gastgeber sein. I mein, des is a Jahrhundertchance! Und i sag euch, dass des passiert is, obwohl – wie da Johannes g’sagt hat – des gar net hätt passiern dürfn, i sag’s euch, des war a Zeichen vom Fuaßballheiligen! Des wird a Jahrhundertspiel, vo dem was wir nu unsere Urenkerl dazähln werdn!«
Darüber musste man nachdenken, und so steckten die Versammelten abermals die Köpfe zusammen. Johannes zog Peppi am Arm beiseite.
»Peppi, was soll das? Das sind Leute, wie du sie noch nie gesehen hast. Mit so einem Spektakel werden einfache Bergbauern wie die St. Petrianer nicht fertig. Das wird eine Katastrophe!«
»Johannes, denk net immer so schlecht vo St. Peter. Niemand hat dir was tan, und du weißt jo gar net, wia des wird. Lass de Leut selber entscheiden! Sand ja net alle deppert.«
Der Bürgermeister scheuchte einen Pensionisten von einer zur Sitzfläche umfunktionierten umgestülpten Getränkekiste, um sie als Podest zu verwenden. Der Bürgermeister war dank seines mächtigen Körperbaus unmöglich zu übersehen, aber da Johannes und Peppi von einer Erhöhung aus sprachen, musste auch er irgendwo
Weitere Kostenlose Bücher