Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
fassen, und die Bergsteiger gefragt, woher sie kämen und wieso in aller Herrgottsnamen sie so unbesonnen seien, die Mordwand ersteigen zu wollen.[13.0.] Es heißt, den Bergsteigern seien die Brüste angeschwollen und sie hätten gemeint, sie wollten die Nordwand um ihres Volkes willen besteigen, um zu demonstrieren, daß dieses Volk imstande sei, das Unmögliche zu bewerkstelligen. Nun, so meinen die Erzählungen, sei das Herz des Alfred Gerlitzen in sorgenvolle Bewegung geraten, denn er fürchtete schon seit einiger Zeit, daß aus den Vorgängen, die er über sein Radiogerät jeden Tag verfolgte, ein Krieg entstehen könnte, und nun schien es ihm noch mehr danach, denn Alfred Gerlitzen sei der Meinung gewesen, daß kein Volk besser als ein anderes wäre. [13.1.] Daraufhin, so heißt es, habe sich Alfred Gerlitzen mit seinem Freund, dem jungen Bürgermeister Ebersberger, zu einer langen Beratung zurückgezogen, bei dem jener Alfred dem Bürgermeister erklärt habe, wie gefährlich die Situation sei, welche sich rund um St. Peter am Anger zusammenbraue. Und in jener Nacht hätten sie eine List gefaßt, wie sie es bewerkstelligen würden, nicht in jenen Schlamassel hineingezogen zu werden. [13.2.] Doch von dieser List ist später zu künden. Hierauf will ich zurückkommen zu jenem Schicksal der Bergsteiger, das, um es kurz zu fassen, ein unglückliches war. Nachdem sich die Schlechtwetterfront verzogen hatte, versuchten sie den Aufstieg und kehrten nie mehr zurück. Erst im nächsten Sommer, als der Schnee geschmolzen war, entdeckte ein Hirtenbub ihre Überreste, da ihm ein Schaf entwischt und in höhere Lagen davongeflüchtet war. [13.3.] Den Wunsch der Bergsteiger auf ein Begräbnis inmitten ihres Volkes erfüllten ihnen die Bergbarbaren nicht. Sie machten ihnen, wie all den anderen auch, ein Grabmal auf dem Friedhof hinter der Dorfkirche und gedachten ihrer nicht mehr. Das Grabmal verwitterte und wurde zu Sand.
Blasmusikpop
Nachdem das kleine Bergdorf St. Peter am Anger beschlossen hatte, sich mit dem Hamburger Skandalverein St. Pauli im Fußballspielen zu messen, verging kaum eine Stunde, in der die Dorfbewohner Johannes nicht aufsuchten, um ihm ihre Ideen vorzustellen. Für die Grundorganisation des Spektakels hatte er sich am Modell der athenischen Heeresordnung orientiert, die Herodot ab dem siebten Buch der Historien beschrieb. Nicht ein Feldherr befahl alle Soldaten, sondern kleinere Heeresabordnungen agierten autonom, damit der Feldherr sich nicht um alles kümmern musste. Dementsprechend hatte Johannes also Arbeitsgruppen eingerichtet, diesen jeweils einen Leiter vorgestellt und sie mit einzelnen Aspekten der Organisation betraut. So leitete zum Beispiel sein Vater Alois gemeinsam mit Herrn Rettenstein die Arbeitsgruppe Tribünenbau, um den Fußballplatz zu einem um zwei Drittel größeren Stadion umzubauen. Obwohl August war, hatte Johannes’ Mutter den Kindergarten wieder geöffnet und bot mit einigen Dorfmädchen als Helferinnen neuerdings Nachmittagsbetreuung an, damit alle Kinder des Dorfes beschäftigt waren und sich die Älteren vollständig den Vorbereitungen für das große Spiel widmen konnten. Edeltraud Parseier und Angelika Rossbrand waren verantwortlich für die Dorfdekoration, und Marianne Rettenstein kümmerte sich mit der Mütterrunde um das Catering. Vorgestern hatten sie Johannes bereits um neun Uhr früh aufgelauert, um ihn den Höhepunkt der kulinarischen Angebote kosten zu lassen: den McPeter. Es handelte sich dabei um ein Fleischlaberl (Verschiertes, Zwiebel, Ei, Petersilie), das mit der bei Tupperwarepartys beliebten Cocktailsauce und einem Salatblatt garniert zwischen Boden und Deckel einer Semmel serviert wurde. Eine der schwierigsten Aufgaben für Johannes war es, um neun Uhr morgens der Mütterrunde Lob und Ermutigung auszusprechen, ohne sich zu übergeben. Robert Rossbrand kümmerte sich mit einigen Dorfjugendlichen um PR und Marketing, was Johannes ein Dorn im Auge war, da er fürchtete, Robert mit seiner brachialen Art verstünde darunter, sich wie ein mittelalterlicher Nachrichtenkolporteur auf den Dorfplatz zu stellen, einen Kochlöffel gegen einen Topf zu schlagen und laut zu schreien. Alle waren mehrfach in die Organisation eingebunden, doch Einzelne kamen ständig mit Spezialideen auf ihn zu. Das meiste konnte er absegnen: So wollte zum Beispiel die Dorfvolksschullehrerin ein Begrüßungslied mit den Volksschulkindern singen, der Bauer Kaunergrat
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