Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
für den Schiedsrichter aus dem Nachbarbundesland abgesprochen hatte, den man holen wollte, um die eigene sportliche Integrität zu beweisen, ging Johannes in die Umkleidekabinen und suchte nach Peppi. Er kannte das Fußballhaus mittlerweile wie sein Elternhaus, wusste, wo was aufbewahrt wurde, und behielt den Überblick darüber, was noch verändert werden musste. Er hatte sogar einen Grundriss über seinen Schreibtisch gehängt, den ihm Schuarl beim Organisatorenabendessen im Wirtshaus mit Ketchup auf eine Serviette gemalt hatte.
Johannes fand Peppi in der Umkleidekabine, er war noch ohne T-Shirt.
»Servas!« Peppis Haargel- und Duschgelgeruch überlagerte den Schweißgeruch der Kabine. »Dazähl, wie geht’s da, was gibt’s Neues?«, fragte Peppi und zog sich weiter an, Johannes nahm währenddessen auf einer Stelle der Umkleidebänke Platz, die ihm einigermaßen sauber erschien.
»Nicht viel. Eine Menge zu tun, alles läuft, kleinere Probleme, aber nichts Tragisches. Der Pfarrer ist stinkwütend, er hat gedroht, mich zu exkommunizieren, aber ich hab ihm erklärt, dass er das gar nicht kann, weil er kein Bischof ist. Und dann mach ich mir Sorgen wegen den vier Alten. Findest du’s nicht auch seltsam, dass es auf einmal mucksmäuschenstill rund um den alten Ebersberger, Rettenstein, Hochschwab und Rossbrand ist? Ich trau dieser Ruhe nicht, ich hab so das Gefühl, die führen was im Schilde.«
Johannes ließ seine Daumen umeinander kreisen. Peppi zuckte mit den Schultern und widmete sich dem Rest seiner Körperpflege, Deodorant, Rasierwasser, und zog sich ein T-Shirt über.
»I weiß net, vielleicht ham de vier Alten endli auf’gebn und lassn uns z’friedn?«, fragte Peppi, aber Johannes hatte immer noch Sorgenfalten im Gesicht.
»Ich glaub nicht. Die regieren seit Jahrzehnten das Dorf, die sind gerissen. Irgendwas planen die.«
Wortlos marschierten die beiden schließlich nach Hause. Johannes überlegte, wie die vier Alten alles sabotieren könnten, bis Peppi kurz vor dem Ausgang vom Fußballplatz das Thema wechselte: »I glaub übrigens, dass de Kinder vo mir sand.«
Johannes pustete Luft aus, doch Peppi fuhr ungestört fort:
»Überleg amoi. De Maria kann si gar net dran erinnern, dass sie mit’m Günther g’schlafen hätt. Owa zweiadhalb Wochn vorher ham wir nu Liebe g’macht. Wir ham zwar auf’passt, owa weißt eh, des is jo a net sicha.«
Peppi stand kurz davor, eine Karriere als Fußballprofi zu beginnen. Er war in den letzten Wochen des Öfteren zu Probetrainings eingeladen worden, und sein Trainervater Sepp Gippel meinte, es gebe gute Chancen, Peppi in der Profiliga unterzubringen, vor allem, wenn das Spiel gegen den FC St. Pauli gut liefe, zu dem einige Talentscouts ihr Kommen angemeldet hatten.
»Hey, Peppi, lass es bitte langsam angehen«, sagte Johannes schließlich, »ihr könnt ja dann einen Vaterschaftstest machen, aber stürz dich da jetzt nicht so rein. Konzentrier dich auf das Spiel, das ist grad das Wichtigste. Ich muss jetzt los. So eine Journalistin vom Angertaler Anzeiger will ein Interview mit mir führen«, woraufhin sie sich umarmten und sich vor dem Dorfplatz trennten.
»Erzählen Sie doch mehr!«
Frau Moni hatte Johannes und die Reporterin am Stammtisch platziert, zufälligerweise waren, kaum dass Johannes dort Platz genommen hatte, drei Dutzend St. Petrianer in das Café gekommen und hatten versucht, sich unauffällig im Raum zu postieren. Da alle Augen auf den Stammtisch gerichtet waren und kaum jemand etwas bestellte, war die Tarnung nicht sonderlich effektiv. Seit dem Jahrhunderthochwasser des Mitternfeldbaches vor zwanzig Jahren war es das erste Mal, dass ein Reporter vom Angertaler Anzeiger leibhaftig nach St. Peter gekommen war. St. Peter war zwar mit den aktuellsten Meldungen wöchentlich im Lokalteil vertreten, doch wurden solche Anzeigen von der Gemeindesekretärin verfasst und nach Lenk geschickt, sodass sich die Journalisten nicht die Mühe machen mussten, den Berg hochzufahren. Die Reporterin selbst war eine viel zu stark geschminkte Frau in Ilses Alter, deren halbe Mascara auf ihren Lidern klebte, und immer wenn sie ihren Mund öffnete, um am Strohhalm ihres Eistees zu saugen, entdeckte Johannes weitere Zähne, an denen der grell-rote Lippenstift klebte. Zuerst saß sie ihm gegenüber, rückte aber bald zu ihm auf die Bank, um ihn besser verstehen zu können. Als sie ihn nach seinem Privatleben fragte, ob er denn eine Freundin habe, die ihn
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