Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
wia de lachn.«
In kleinen Schritten tapste Johannes rückwärts.
»Das sind nicht meine Freunde«, flüsterte er dem Boden zugewandt. Alois seufzte in einer Mischung aus Enerviertheit und Unverständnis.
»Papa, ich muss nach Hause, den Schlappi füttern.«
»Da Schlappi überlebt’s, wenn er in zwoa Stund g’füttert wird. A dem Schlappi macht Umadumrennen Spaß.«
»Nein. Dem Schlappi macht Vorlesen Spaß.«
Der Kleinfeldplatz des FC St. Peter am Anger war bevölkert von zwei Dutzend Kindern der Jugendmannschaften in neongelben, hellgrünen und knallorange Trainingsleibchen. Vor Johannes’ Augen wirbelten viermal so viele Bälle wie Kinder durch die Gegend, wurden durch Hütchen und Stangen gespielt und auf die Tore gefeuert. All die Bewegungen geschahen für ihn viel zu schnell, die leuchtenden Farben blendeten, er war immerhin seit drei Wochen nicht mehr ins Freie gegangen und hatte sich auf weitgehend unbewegte Bilder konzentriert; Bücher, kleine Experimente, Malen und Schreiben.
Ein Pfiff ertönte, viel lauter und stärker in die Länge gezogen als notwendig. Als Peter Parseier Jugendtrainer geworden war, hatte er sich im Ausrüstungskatalog des Allgemeinen Fußballverbandes eine sündhaft teure Silberpfeife bestellt, wie sie auch von den Schiedsrichtern bei der letzten Europameisterschaft verwendet worden war. Nicht einmal der Trainer der Kampfmannschaft hatte so ein besonderes Stück, sondern eine Pfeife aus gelbem Plastik. Die Kinder brachen die Trainingseinheit ab, Peter Parseier ordnete brüllend die nächste Übung an, und Johannes zuckte zusammen. Kaum hatte das Rudel mit Elfmeterschießen begonnen, visierte Parseier Alois und seinen Sohn an und joggte auf sie zu. Johannes krallte sich nun mit beiden Händen an Alois, der versuchte, ihn abzuschütteln, bevor Parseier sie erreichte.
»Irrwein.«
»Parseier.«
Sie begrüßten sich kühl und ohne Handschlag. Parseier war einer der wenigen St. Petrianer, die nicht hier geboren, sondern zugezogen waren. Er stammte aus einem Dorf im Angertal, keine vier Kilometer Luftlinie entfernt. Vor fast zwanzig Jahren hatte er Edeltraud Hochschwab geheiratet, die Tochter des reichsten Mannes im Dorf, und seit mehr als zwanzig Jahren war er mit Alois Irrwein verfeindet. Als Parseier ins Dorf gekommen war, hatte er viele ambitionierte Pläne mitgebracht, in St. Peter am Anger Tourismus einzuführen, die Traditionen zu vermarkten und in den Sporzer Alpen ein Skigebiet zu errichten. Die Wirtshausrunde rund um Alois hatte ihn ausgelacht und bereits das erste Mal, als er von seinen Träumen sprach, als verrückten Spinner bezeichnet. Da auch die ältere Stammtischrunde um Ebersberger, Rossbrand, Rettenstein und Hochschwab, die sonst die Meinungsmacher im Ort waren, Parseiers Pläne abgelehnt und ihn als einen Wahnsinnigen beschimpft hatte, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich mithilfe von Ämtern Macht zu verschaffen. Er war Gemeinderat, Jugendfußballtrainer, Feuerwehrinspektor und, um sogar der Blasmusikkapelle anzugehören, obwohl er kein Instrument spielen konnte, hatte er freiwillig das Amt des Kassiers übernommen. Doch dass Alois ihn von allen Dorfbewohnern immer am meisten getriezt hatte, hatte er ihm nie verziehen.
»Na, dein Buam sieht man jo nia bei de Fuaßballtrainings. Was isn los? Der wird do wohl ka Woarmer sei«, hatte Parseier Alois vor einigen Monaten im Vorbeigehen auf der Kirchenstiege zugeflüstert. Alois hatte vor Wut gebebt, und hätte er nicht auf der Kirchenstiege gestanden, hätte er Parseier windelweich geschlagen. Parseiers Beleidigung klang in Alois’ Ohren nach, als er nun am Fußballplatz stand und seinen Sohn zum Training abgab. Alois hatte sich gefreut, als ihm Ilse resigniert aufgetragen hatte, dafür zu sorgen, dass der Bub endlich sein Zimmer verließe und nicht die ganzen Ferien im Haus verbringe. Und er hatte keine Sekunde gezögert, seinen Sohn in ein Fußballgewand zu stecken und auf den Platz zu schleppen. Allerdings hatte er dafür eine Bisswunde in Kauf nehmen müssen, da sich Johannes quietschend geweigert hatte, Sportsachen anzuziehen. Laut Doktor Opa trugen richtige Männer Cordhosen und Hemden.
»Dei Bua wüll mitspüln?«
Johannes versteckte sich hinter Alois, weil er vor Parseiers eisblauen Augen Angst hatte.
»Mei Bua spült mit.«
Und mit diesen Worten griff Alois hinter sich und packte Johannes am Kragen.
»So Johannes, hiazn lauf mit’m Trainer und mach g’fälligst, wos a
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