Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
bisserl Blut, des tuat scho gut, bei Mädls kommt des aus da –«, da pfiff der Schiedsrichter Johannes aufs Feld. Es waren noch acht Minuten zu spielen, fünf davon die berechtigte Verlängerungszeit, und Johannes drückte sich zaghaft auf dem Spielfeld herum, angestrengt bedacht, keinem, erst recht nicht dem Ball, zu nahe zu kommen. Aus Doktor Opas Patientenjournal kannte er die Bandbreite der irreparablen Verletzungen, die man sich bei einem Fußballspiel zuziehen konnte.
»Johannes renn! Da is da Ball!«, schrie ihm der Trainer wutentbrannt zu.
»Bua, Bua, lauf!«, brüllte Alois Irrwein, der zu viel Bier intus und jenes Leuchten im Gesicht hatte, das entstand, wenn er Lust hatte, sich zu prügeln. Johannes sah kurz zu seinem Vater, lief langsamer, und kaum widmete er sich wieder dem Geschehen auf dem Platz, kugelte der Ball frontal auf ihn zu. Johannes blickte um sich, er stand vollkommen frei im Mittelfeld. Im eigenen Strafraum hatte es eine Massenkarambolage gegeben, Peppi Gippel war mitsamt seinen Manndeckern zu Boden gegangen, der Schiedsrichter gab kein Foul, denn noch im Flug hatte Peppi einen Fallrückzieher gemacht und den Ball zu Johannes gepasst, der vollkommen allein im Mittelfeld stand. Und plötzlich hörte er wieder seinen Vater, lauter und durchdringender als alle anderen Zuschauer:
»Bua, lauf, renn! Da is des Tor! Lauf!«
Johannes durchfuhr ein Rappel, und er rannte los. Von seinem Vater angefeuert, dribbelte er den Ball auf das gegnerische Tor zu. Nur ein einziger Fußballer, der benommen im Strafraum wankte, nachdem er zuvor einen von Günther Pflickers Ellbogen abbekommen hatte, trennte ihn noch von Tor und Tormann. Drei Minuten vor Schluss, Johannes gegen diesen einen Verteidiger. Nah am Sechzehner überlegte er, nach links oder rechts zu dribbeln, links oder rechts, während der andere Bub auf ihn zuwankte. Ganz St. Peter blickte auf Johannes.
»Lauf Bua! Des is mei Sohn!«, hörte er seinen Vater.
Er musste nur einen Haken schlagen und abziehen, der Tormann von St. Michael hatte ein ganz verschwollenes Gesicht, der sah kaum noch durch seine Lider, es würde ein Leichtes sein, das rettende 5 : 4 zu erzielen, zwei Minuten vor Schluss, in Johannes pulsierte das Adrenalin. Er konnte den Sieg beinah greifen, wurde beflügelt von den Schreien, erstmals feuerte ihn das Dorf an, hänselte ihn nicht, sondern stand hinter ihm, und da, Johannes schlug den Haken nach links, der Gegner streckte seinen Fuß rechts, daneben! Johannes hatte ihn ausgespielt, stand nun links der Elferauflage vor dem Tormann, links war sein starker Fuß. St. Peter jubelte, eine Traumchance, er musste nur noch durchziehen, er spielte sich den Ball vor, zog den Fuß zurück, setzte an – der Tormann stand zu weit links, um halten zu können, Johannes könnte ohne Probleme in die rechte Ecke treffen, doch plötzlich verlor er den Boden unter den Füßen. Ein lautes, krachendes Geräusch ertönte dort, wo Johannes seine Achillessehne hatte. Als ob eine Peitsche mit scharfem Knall durch die Luft fahren würde. Ein schneidender Ton, der nur den Bruchteil einer Sekunde dauerte, aber so durchdringend war, dass der Platz für einen kurzen Moment verstummte.
Aufgeheizt von der aggressiven Matchstimmung, benebelt von Pflickers Ellbogen, wütend, von einem hageren Lockenkopf ausgedribbelt worden zu sein, hatte der gegnerische Verteidiger die schlimmste Sache getan, die sich ein ehrenhafter Fußballspieler vorstellen konnte: Er war von hinten auf Johannes zugelaufen, hatte den Fuß ausgestreckt und ihm mit den Stollen in den Knöchel gegrätscht. Mit einem lauten, aus tiefster Seele stammenden Schmerzensschrei warf es Johannes der Länge nach zu Boden. Ein Empörungsruf gellte durch die Zuschauerreihen. Sowohl Peppi als auch Sepp Gippel schlossen aus Scham über diese unfußballerische Aktion die Augen.
Der Tormann schnappte den Ball, der Schiedsrichter pfiff ab und lief auf Johannes zu, der als kleines Häufchen Elend am Boden kauerte. Zusammengekrümmt umschloss er seine Beine, biss in ein von Fußballstollen aus dem Boden gehacktes Büscherl Gras und rang unter Tränen nach Luft. Noch vor dem Schiedsrichter kam Peppi Gippel bei ihm an, kniete sich neben ihn, drehte Johannes, der fest seinen Fuß umklammerte, der so knapp davor gewesen war, den Siegestreffer zu erzielen, auf den Rücken.
»Geht’s da guat?«, fragte Peppi, aber Johannes antwortete nicht, kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, und
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