Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
nacheinander liefen der Schiedsrichter, die Spieler der Jugend- und Kampfmannschaft, Zeugwart, Platzwart, die Zuschauer und sogar der Grillmeister herbei. Wirr redeten alle aufeinander ein.
»Geh, steh auf Bua und rear net so, des woar jo nix!«
Der gegnerische Trainer wollte Johannes am Ellbogen hochziehen, Peter Parseier schlug ihm auf den Unterarm.
»Hast an Scherer? Des woar schwerste Körperverletzung!«
»Geh, des woar do nur a klane Gretschn.«
Parseiers Augen blitzten auf wie das Mündungsfeuer einer Schusswaffe.
»A klane Gretschn? A Blutgretschn!«
»Geh, du bist jo deppert.«
»Pass auf, sonst brich i dir dein schiarchn Zinken!«
»Des wüll i sehn, wia du mit deine Kasstrampler mir wos tun wüllst.«
Mühsam kämpfte sich der Schiedsrichter durch die streitende Menge zu dem Verletzten, und während er versuchte, Johannes’ Gesundheitszustand zu eruieren, wurde aus der Diskussion der Trainer ein Massenstreit über die Schwere dieses Fouls. Jeder stritt mit seinem Nachbarn, und noch bevor Johannes von den älteren Burschen auf eine Trage gelegt und ins Klubhaus getragen werden konnte, eskalierte die Auseinandersetzung rund um Alois Irrwein, der seine Fäuste nicht mehr zurückhalten konnte.
»Niemand derf mein Bua so foulen!«, schrie er und drosch auf zwei St. Michaeler Väter ein, ohne zu wissen, ob sie mit dem Übeltäter überhaupt verwandt waren. Anfangs wollte man sie trennen, doch in der Hitze des Gefechts wurden die Schlichter in die Schlägerei verwickelt. Inzwischen war die schwarze Ambosswolke ins Tal gezogen, hatte sich über dem Angerberg aufgebläht und sorgte dafür, dass sich die Schläger innerhalb weniger Minuten in einer fußballplatzgroßen Schlammlacke suhlten. Bald ging es nicht mehr um Johannes A. Irrwein, bald ging es nicht mehr um Fußball. Als sämtliche St. Petrianer und St. Michaeler im prügelfähigen Alter übereinander herfielen, war es der ewige Kampf zweier rivalisierender Bergdörfer, der nach langer Zeit wieder einmal einen Anlass fand, sich so gewaltvoll zu entladen wie die große schwarze Gewitterwolke.
Während es für alle anderen St.-Petri-Mädchen und – Buben eine Katastrophe gewesen wäre, sich in den Sommerferien die Achillessehne zu reißen und für zwei Monate einen Gips tragen zu müssen, war Johannes glücklich über seine Verletzung. Von nun an ließen ihn seine Eltern in Ruhe, und er konnte ungestört lesen, mit Schlappi experimentieren und Zeit in seinem Zimmer verbringen. Es gab schließlich so viele Bücher und Instrumente, die er aus Doktor Opas Wohnung gerettet hatte und noch erkunden und verstehen musste, wenngleich sich Johannes im Laufe der Zeit darüber klar wurde, dass ihn die Biologie anekelte. Nach und nach erlaubte er Ilse, einige der Wurmpräparate zu entsorgen. Die, die emotionalen Wert hatten, wickelte er in Zeitungspapier und verstaute sie auf dem Dachboden. Nur ein Präparat beließ er in seinem Zimmer, da es der größte Teil von Doktor Opa war, der geblieben war. Der Fischbandwurm, 14,8 Meter lang und so breit wie der Ringfinger seiner Großmutter. Er stellte ihn ins Hängeregal oberhalb des Schreibtisches, wo der Bandwurm friedlich in seinem Spiritus ruhen konnte.
[Die Mischung von Tag und Nacht, Notizbuch II]
[4.8.] Vier Jahrzehnte lang betrachteten nach jenem Wallfahrtsereignis die St. Petrianer die St. Michaeler als ihre größten Feinde, bis es zu kriegerischem Streit mit den östlich angesiedelten Strotzingern kam, wovon ich nun erzählen möchte. [4.9.] Es liegt jener Angerberg, auf die Länge hin gesehen, etwa in der Mitte des Angertales, nordwestlich von der Stadt Lenk. Weiter westlich gibt es auch heute noch nichts anderes als Berge, die einerseits bewaldet, andererseits so fest in der Hand von Eis, Schnee und unzerstörbarem Stein sind, daß nichts Lebendiges dort überleben kann. Im Osten jedoch siedeln die sogenannten Strotzinger, die aufgrund der schlechten Beschaffenheit ihres Bodens oft Streifzüge unternahmen, um Speise anderweitig einzutreiben, und von jeher ein aggressives Volk waren. [5.0.] Einst nahmen die Bauern der Strotzinger einen Teil der Weidefläche der St. Petrianer in Beschlag, da ihr Vieh die eigenen Weiden abgegrast hatte. Die St. Petrianer wollten sich das nicht gefallen lassen, und so kam es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, bei der oft die einen, dann die anderen die Oberhand behielten. [5.1.] Nach vier Jahren entzweiten sie sich gerade im Kampf auf gleichem
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