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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber sie spürte instinktiv, dass sie, seine Mutter, Johannes’ besten Freund umgebracht hatte. Seinen einzigen noch dazu.
    Johannes und Pater Tobias standen schweigend vor dem Freiluftstall. Schlappi lag auf der rechten Flanke und streckte alle vier Pfoten von sich. Sein Rücken lag in Richtung des Angertales, er war bergab umgefallen, und obwohl das Kaninchen immer schon weiß um den Bauch gewesen war, machte es einen seltsam nackten Eindruck, als sich sein Bauch wie eine Bowlingkugel vor ihnen aufblähte. Seine zartrosa Schlappohren lagen verdreht über seinem Gesicht. Vor seinem Maul klebte ein grünlicher Brei auf dem Gras – das Kaninchen hatte sich in seinem Todeskampf noch einmal übergeben, was aber nichts geholfen hatte.
    »Hatte er ein schönes Leben?«, fragte Pater Tobias, ohne sich zu bewegen. Johannes zuckte mit den Schultern.
    »Aber er war doch bei dir, da hatte er sicherlich eine sehr schöne Zeit auf Erden?«
    »Na ja, so toll ist es bei mir nicht. Immer dasselbe. Eingesperrt sein im Zimmer und lesen.«
    »Lässt dich deine Mutter nicht nach draußen?«
    »Schon, aber da is ja nix. Da sind die Bücher noch interessanter.«
    Pater Tobias suchte nach den richtigen Worten, wollte etwas sagen, hielt aber im Ansatz inne und blickte sich um. Ohne es auszusprechen, gab er dem kleinen Johannes recht. Wenn man von der wunderschönen Landschaft absah, fand Pater Tobias auch nicht viel, das es interessant machte, in St.   Peter zu leben.
    »Weißt du, wieso der Schlappi tot ist?«, fragte Johannes schließlich. Pater Tobias seufzte und legte ihm von hinten die zweite Hand auf die Schulter.
    »Tja, du hast ja gesagt, ihr wart sehr lange zusammen. Kaninchen werden nicht so alt wie Menschen.«
    »Schön wär’s!« Johannes schüttelte seinen Kopf und drehte sich zum Pater um, der erstaunt die Hände sinken ließ. »Alte Kaninchen speiben nicht. Der Schlappi hat sich überfressen, und sein Magen ist zerplatzt. Das ganze nasse Gras war er nicht gewohnt, und er hat sich so gefreut, weil ihm die Mama vorher sicher nichts zum Essen gegeben hat. Und dann hat er nicht gewusst, wann gut ist. Wenn es ums Essen geht, hat der Schlappi nie gewusst, wann gut ist. Das Sterben hat sicher sehr wehgetan.« Johannes unterdrückte eine Träne. »Hab das gelesen. In der Gemeindebücherei gibt’s so ein Buch über Kaninchen, Zucht und Fortpflanzung bei Masthasen. Ich wollt, dass der Schlappi schlank bleibt, damit die Mama und der Papa ihn nicht braten und mit Rosmarinsauce essen.«
    Pater Tobias verschränkte die Hände vor seinem leise grummelnden Bauch. Gemächlich ließ er seinen Blick hinüber zu den Obstbäumen und hinauf Richtung Dorf schweifen. Vom Garten des Hauses Irrwein sah man die Dächer der Gebäude auf dem Dorfplatz, über denen sich der Kirchturm erhob. Pater Tobias’ Augen blieben an der Turmuhr hängen. Er schützte seine Augen mit der flachen Hand vor dem Licht, aber egal wie sehr er seine Lider zusammenkniff, in diesem eigenartig verspiegelten Sonnenlicht sah es aus, als würden sich die Zeiger in die falsche Richtung bewegen.
    Johannes nahm mit seinen weißen Fingern den Maschendraht von den Nägeln und kletterte über die Verstärkungsbretter am Boden. Er kniete sich neben dem toten Kaninchen nieder und begann, dessen aufgeblähten Bauch zu streicheln.
    »Wissen Sie eigentlich, was jetzt mit dem Schlappi seiner Seele passiert? Der Herr Pfarrer hat uns im Religionsunterricht immer gesagt, dass der Mensch über dem Tier steht, weil der Mensch denken und fühlen kann. Ich aber glaub, der Herr Pfarrer hat noch nie ein Haustier gehabt. Der Schlappi hat denken und fühlen können. Wenn ihm was wehgetan hat, ist er wild herumgelaufen. Und wenn er was nicht wollte, hat er sich einen Ausweg überlegt, um das nicht machen zu müssen.«
    »Nun, ich glaube auch, dass Schlappi denken und fühlen konnte, so wie Kaninchen denken und fühlen können. Vielleicht ein bisschen anders als Menschen, wahrscheinlich auf die Kaninchenart.«
    »Dann kommt der Schlappi also in den Kaninchenhimmel?«
    Johannes formulierte vorsichtig und ließ die Hände vor seinem Körper baumeln, wo er dann seine Finger verschränkte. Pater Tobias räusperte sich:
    »Ja, ich denke, so kann man das sagen.«
    Er sah sich nochmals das tote Kaninchen an. So wie es den Kopf von sich gereckt hatte, sah es wirklich aus, als hätte es einen qualvollen Tod gehabt.
    Pater Tobias konnte es zwar nicht genau benennen,

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