Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Die Frauen schäkerten weiter über Pater Tobias, wie wohl sein Hintern unter der Kutte aussähe, eher apfelförmig herausstehend oder massiv in die Oberschenkel ablaufend. Ilse griff ihre Handtasche und ging nach Hause. Das laute Lachen aus dem Café Moni verfolgte sie bis über den Dorfplatz und verstummte erst, als sie in die Südsiedlung eingebogen war.
Zu Hause schritt sie zielstrebig in Johannes’ Zimmer. Das Bett hatte sie noch am Tag seiner Abreise gemacht, trotzdem schüttelte sie die Kopfpolster auf, lüftete, holte einen Staubwedel und fuhr die Regale und Buchrücken ab. Den Schreibtisch ließ sie unangetastet. Dort lagen aufgeschlagene Bücher, aus denen Johannes Dinge abgemalt hatte, bevor sie ihn in den Bus gesteckt hatte. Sie betrachtete eine Skizze für ein Kaninchenlabyrinth, Für gelangweilte Schlappis stand darauf, und zeigte einen Abenteuer-Parcours voller Brücken, Engstellen und einer Leckerli-Maschine. Hinter Ilse raschelte das Spreu, und sie wandte sich dem Käfig zu. Schlappi versteckte sich in seinem Holzhäuschen, nur die Mümmelnase war zu erkennen. Das Kaninchen misstraute Ilse zutiefst. Als würde es wissen, dass sie ihn eigentlich zu geschmortem Kaninchen in Rosmarinsauce hatte verarbeiten wollen – doch in diesem Moment dachte Ilse keineswegs an Kaninchenbraten, sondern empfand Mitleid mit dem Tier. Seit Johannes weg war, war das Tierchen in dem quaderförmigen Zimmerstall untergebracht, in einer Ecke die Hütte, in einer das Futter, in einer Wasser und Leckstein, in einer das Klo.
»Woaßt wos, Schlappi, du solltest amoi an d’frische Luft. Des macht dem Johannes sicherli a Freud, wenn a z’ruckkummt, und dir geht’s guat.«
Daraufhin erhob sich Ilse, ging zu Alois in die Werkstatt und bat ihn, an der Stelle, wo der saftigste Klee und Löwenzahn wuchsen, einen Freiluftlaufstall für das Kaninchen zu bauen. Alois bedauerte diese Sinneswandlung seiner Frau, denn wenn sich Ilse um das Tier zu sorgen begann, schwanden seine Chancen, demnächst Kaninchenbraten zu essen zu bekommen. Doch da Osterwoche war und auf all seinen Baustellen die Arbeit ruhte, war Alois ganz froh, etwas zu tun zu haben.
Noch am selben Tag hämmerte er vier Pfeiler in den Garten, verband sie ebenerdig mit vier waagerechten Holzbrettern und spannte feinen Maschendrahtzaun zwischen den Pfeilern. Es dauerte kaum anderthalb Stunden, bis Alois die letzte Drahtmasche um den Nagel am äußersten Pfeiler gewickelt hatte und ein strampelnder, quiekender und sich zu Tode ängstigender Schlappi von Ilse Irrwein, deren Hände zum Schutz vor Schlappis Krallen in festen Gartenhandschuhen steckten, in den neuen Freiluftstall gesetzt wurde. Anfangs blieb das Kaninchen erstarrt auf der Stelle sitzen, bis es realisierte, dass es auf essbarem Untergrund saß. Schlappi verstand nicht, was vorging, war aber augenblicklich entzückt von all den leckeren Kräutern, die ihn umgaben, stellte sich auf seine Hinterpfoten und blickte über die Holzlatten, die den Maschendrahtzaun zum Boden hin verstärkten. Vor ihm wurde das Angertal von der untergehenden Sonne gestreichelt. Und welch ein Anblick war das für ein ansonsten nur an Johannes’ Zimmer und Balkon gewohntes Kaninchen – Futter, so weit seine Kaninchenaugen schauen konnten. Futter mit Blüten, Futter mit Blättern, Futter mit knackigen Stängeln, Futter mit langen Dolden, Futter mit Samen, Futter in Kaninchenzahnhöhe, Futter, das größer war als er selbst. Schlappi wähnte sich im Paradies und stürzte sich gierig auf ein saftiges Büschel Klee.
Am Mittwoch in der Karwoche stand Ilse Irrwein nicht wie gewohnt eine halbe Stunde nach, sondern bereits eine Stunde vor Sonnenaufgang auf. Während in der Dämmerung die Rehe durch den Garten der Irrweins zurück in die Wälder des Westhanges spazierten, vermengte Ilse die Zutaten für einen Biskuitboden in ihrer Allzweckküchenmaschine, ohne die seit der Küchenmaschinenparty vor drei Jahren keine St. Petrianerin mehr ihre Kuchen rührte. Sie heizte das Backrohr auf 180 Grad vor, legte ein Blech mit Backpapier aus und verteilte mithilfe der ergonomisch geformten Teigspachtel, die man als Geschenk zur Küchenmaschine dazubekam, wenn man mehr als drei Hackaufsätze kaufte, die Masse auf dem Blech. Beim Öffnen der Ofentür strömte ihr gestaute Hitze entgegen. Ilse schob den Kuchen hinein, blieb vor der geöffneten Tür einen Moment knien und ließ sich von der heißen Luft die Haare nach hinten drücken und die Backen
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