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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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Kühlschrank. Vor allem aber, berichtete Ronny und erschreckte den guten Menschen mit einer glühend scharlachroten Färbung seiner Augen, seien mit den Bremsen »auch die Zündkontakte und … der Vergaser« ruiniert, der Rest der hundert Euro also »auf dem Schrottplatz« draufgegangen. Nun freilich sei er hungrig; er habe schließlich nichts gegessen, seitdem der LKW blockiert sei und sein Chef nicht zahle – übrigens müsse auch der Luftfilter gewechselt werden, »das Ding muss dringend raus, der ist schon lange fällig. Zwanzig Euro«, so schloss Ronnys Bericht, »oder besser siebzig müssten reichen. Bitte! Ich weiß nicht, wo ich sonst Geld herkriegen soll. Verwandte hab ich keine oder Freunde, nix.«
    Dass er ihm bereits beträchtlich ausgeholfen, ihm immerhin schon einhundert Euro geliehen habe, wandte der gute Mensch sehr leise ein, so leise, dass er’s selbst kaum hörte, musste allerdings erkennen, dass er an den Falschen geraten war. »Eben!«, rief, ja schrie Ronny, da seien siebzig Euro »doch ein dings! Ein Pappenstiel«; und gab auch zu bedenken, dass er die Schulden ohne den Empfang von neuerlicher Unterstützung nie werde begleichen können oder wollen oder wie; er, der gute Mensch, dürfe seinen »Hunni dann jedenfalls abschreiben, der ist dann praktisch futsch, sorry. Also was ist?«
    Er begreife, erwiderte der gute Mensch, die Notlage, doch gebe es, startete er einen neuen Versuch, seines Wissens überhaupt gar keine »Kreuzung Hermann-/Ottostraße«; gestern abend sei er – aus purem Zeitvertreib! – die Hermannstraße dreimal auf- und abgelaufen und habe weder eine, hier mühte er sich um einen unwirsch ernsten Ausdruck seiner Augen, »sogenannte Ottostraße« wahrgenommen noch irgendeine andere Kreuzung. Auch keinen störend oder regelwidrig abgestellten LKW ; für Siebzig-Tonner, setzte er hinzu, sei die Hermannstraße vermutlich gar nicht zugelassen; sie liege, er habe es persönlich überprüft, übrigens nicht unmittelbar »hier in der Nähe«, sondern am äußersten Stadtrand, ein kaum zwei Meter breites Gässchen inmitten einer Gartenlaubensiedlung, geteert lediglich im ersten Teilabschnitt, danach ein ausgesprochener Spazierweg, der an einem verwitterten Holzzäunchen ende. Dann komme nichts als Wiese, vereinzeltes Gebüsch, dahinter Wald, die ersten Bäume des Hochtaunus …
    »Na eben!«, rief Ronny. Das sei ja der Scheiß. »Exakt da steht die Karre rum! Mitten auf der Hermannstraße oder kann sein Klarastraße.« – Ob er ihn eigentlich für einen Lügner halte?
    Aber nein, entkräftete der gute Mensch sich eilig selbst, »bestimmt Klarastraße«, verschluckte einen leichten Hustenreiz und pfriemelte einen Fünfzigeuroschein aus dem Portemonnaie, denn kleiner hatte er’s ja wieder nicht. Wieder aber zeigte sich der Langhaarige dankbar, versprach Rückzahlung für den nächsten Tag und steckte seinem Helfer einen knitterigen Zettel zu. Er habe nämlich »gestern Abend ganz plötzlich überlegt und dann was aufgeschrieben. Damit du mich kennenlernst. Wir können«, nun starrte er dem guten Menschen ohne Umweg ins Gesicht, »doch sowieso mal quatschen abends! Ich kann dir was erzählen, da fällst du um. Morgen vielleicht? Komisch. Es müssen eigentlich zwei Zettel sein. Ich hab noch was gemalt für dich, ein psychologisches Gemälde. Moment!«
    Eine Zeitlang kramte Ronny in den Taschen seines Jeansanzugs. Ungezählte Zettel tauchten auf, nasse, durchgeweichte Schnipsel aus Papier und Pappe, faserige Tempotücher, der Fünfzigeuroschein, Teile von Bierdeckeln, etliche Kassenbons und halbgerauchte Zigaretten; auch ein Ausweis war darunter, der zu Boden fiel und von Ronny hastig aufgehoben wurde – »is nich meiner«, verriet er dem guten Menschen und verstaute alles wieder. »Das Bild kriegste morgen«, verprach er und bat seinen Helfer schließlich, den Zettel niemand anderem zu zeigen; die Notizen seien »ganz extrem vertraulich« und nur für ihn, den guten Menschen, bestimmt. Dann verschwand er.
    Man kann sich denken, mit welcher Spannung unsere Hauptperson der Lektüre entgegensah. Und kaum hatten die Kollegen einmal das Büro verlassen, holte er den Zettel hervor und las:

    Bei alldem nimmt es nicht wunder, dass unser guter Mensch, dessen Kombinationsgabe im übrigen weltberühmt war, das Zettelchen beruhigt verstaute und sich nun sicher wähnte, eine wahrhaft empfindsame Seele gewonnen zu haben. Und welche Freude überkam ihn erst, als Ronny schon am nächsten Tage

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