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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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uns als zwar nicht gerade Top-, aber doch Mittel-Act und Publikumsmagnet. Witze jedenfalls haben wir massig in der Tasche, dazu den ganzen Haufen gängiger Reporterfloskeln.
    Und es geht prima los: »Noch 89,9 Minuten zu spielen«, flötet Schiffner vier Sekunden nach dem Anpfiff.
    »Beide Mannschaften scheinen mit dem Ergebnis zufrieden zu sein«, setze ich trocken nach.
    Roth versucht es mit »Schirinowski pfeift doch etwas kleinlich heute«, und Sonneborn wächst schon am Anfang über sich hinaus: »Bisher gab es elf Siege und vier Niederlagen für die Deutschen; Stalingrad zählt selbstverständlich doppelt.«
    Es brandet auf, was wir erwartet haben: Jubel, Jubel, Jubel. Hauptsächlich von einem Langhaarigen links vorne; die anderen vierhundert schaben hüstelnd mit den Füßen, dann eine leise Meldung aus der Mitte: »Haha. Sehr lustig.« Vier Dutzend greifen die Begeisterung auf: »Ihr Witzbolde!« Und einer möchte zu gern wissen:
    »Werdet ihr dafür etwa bezahlt?«
    »Ja selbstverständlich!« gibt Roth strahlend Auskunft, während ich mir eine Zigarette drehe. »Über tausend Mark, mehr will ich nicht verraten.« Sonneborn lächelt: »Man lässt sich halt ungern ins Konto gucken.«
    Rachsüchtig bellt mich ein junges Mädchen an: »Hier ist rauchen verboten!«
    »Für euch ja«, sage ich, denn es ist wirklich äußerst heiß und stickig, grad für die zahlreich angereisten Kinder und Embryonen; die Zeltplane ist vollständig heruntergelassen, damit kein Jota Tageslicht auf die Großleinwand fällt. »Wir Künstler dürfen aber Kette rauchen. Steht so im Vertrag.«
    »Arschlöcher!«, knurren da nun zehn auf einmal.
    »Künstler und Arschlöcher dürfen rauchen«, kontere ich mit einem neuen super Witz und zeige den Eschwegern, wie man richtig inhaliert.
    »Gorbatschow muss aufpassen. Wenn er beim Kopfballduell mit Ziege zusammenprallt, gehen die ganzen Pickel auf!« Das ist Roth in Hochform; er zieht Schiffner mit. »Noch 86 Minuten zu spielen!«, brüllt dieser Wicht ins Publikum, und als der Ball ins Seitenaus rollt, bricht es aus Sonneborn heraus:
    »Den Schuss hab ich schon drin gesehen, hähä!«
    Stille. Zweihundert ländlich treue Augenpaare starren zu uns hoch, fixieren uns betäubt und auch leicht ungläubig. Schiffner nuschelt: »Die haben wir im Sack, oder?«
    Ich nicke, starte meinen ersten running gag : »Was macht der Helmut denn da?!« Wissen muss man, dass Helmut Rahn eigentlich gar nicht mitspielte, ich aber jetzt so tat als ob! Und wieder lachen alle vier.
    Auch das Publikum geht mit: »Maul halten, wir wollen Rubenbauer!«
    Aber da haben sie ihre Rechnung ohne Schiffner gemacht. »Rubenbauer«, brüllt er, da er sich mit Fußball nicht sooo auskennt, »wer ist Rubenbauer?!«
    Unauffällig stülpe ich meine Lippen auf sein Ohr: »Der echte Kommentator. Ein bekannter Mann.«
    Ja, der Funke ist übergesprungen in diesen ersten Minuten; wie der Hering in der Fulda schwimmen wir im Applaus des Publikums. Das gibt uns Mut, Kraft, Selbstvertrauen. Nach zehn Minuten kribbeliger Stille dann ein echter Hammer. Roth: »Da hätte man mehr draus machen können.« Das sitzt; man könnte eine Nadel fallen hören. Ein Blick auf die Uhr: noch siebzig Minuten zu spielen. Wir halten uns geschickt zurück, plazieren unsere Höhepunkte, und souverän erreichen wir die Halbzeitpause.
    »Wir müssen«, schlägt ein schweißnasser Schiffner backstage vor, »mal wieder was sagen!«
    »Stimmt«, meint Sonneborn, »aber was?«
    »Was macht der Helmut denn da?«, rufe ich und lache mich kaputt. Doch warum guckt der Roth so knitterig? Grad hat er vom Festivalbüro erfahren, dass man uns gar nicht angekündigt hat, Eschwege also auf eine reguläre Rubenbauer-Übertragung spitz war. »Also wussten sie«, bilanziert Schiffner, »gar nichts von ihrem Glück!« Froh klopfen wir uns gegenseitig auf die Schulter.
    In der zweiten Halbzeit wird’s dann besser. Etwa alle acht Minuten geben wir einen Kommentar ab, den das Publikum dann stets mit einem herzhaft intonierten »Fresse!« retourniert. In der 80. Minute stolzieren wir, begleitet von frenetischem Applaus, hinter die Bühne und bekommen wie erwartet Fanbesuch: Ein bis zum Überlaufen blauer Eschwegerich gesellt sich zu uns, nimmt Bierflaschen und diverse Sorten bereitliegenden Künstlerobstes in die Hand und schmeißt sie auf uns drauf. Zielen tut der Trinksack aber miserabel; nur Sonneborn kriegt eine halbe Kiwi an den Nabel, bevor der junge Mann ihm dann auch

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