Blau wie das Glück: Roman (German Edition)
als Drache fliegen, mit Blair auf seinem Rücken. Sie könnte ihm die Namen von allen Orten und Bauwerken, den Flüssen und Seen nennen, die er unter sich sah. Ob sie auch den Namen des Wasserfalls kannte, den er gerade überflog? Er war genauso hoch und gewaltig wie die Feenfälle bei ihm zu Hause.
Er dachte daran, wie sich ihre Beine um seinen Leib geschlossen hatten, als sie in die Luft aufgestiegen waren. Wie sie gelacht hatte.
Eine Frau wie sie war ihm noch nie begegnet, so stark und gleichzeitig so verletzlich.
Er mochte es, wie sie redete, rasch und selbstbewusst. Und wie sich ihre Mundwinkel nach oben zogen, wenn sie lächelte.
Seine ständige Sehnsucht nach ihr kam ihm so normal vor wie das Bedürfnis zu atmen. Aber es lag noch etwas anderes darin, etwas Scharfes, das er nicht einordnen konnte. Es würde interessant sein, der Sache auf den Grund zu gehen.
Er flog über den Wasserfall hinweg und den dichten Wald dahinter. Stille Seen schimmerten im Sternenlicht, aber Larkin wandte sich geradewegs zum Leuchtturm auf den Klippen. Geräuschlos wie ein Schatten glitt er herunter.
Auf einem schmalen Landstück sah er zwei Gestalten. Eine Frau und ein kleiner Junge. Er erschrak. Wenn die beiden sich in der Dunkelheit so nah an den Höhlen aufhielten, würden sie sofort gefangen werden. Man würde sie aussaugen und töten. Und er hatte keine Waffe, um sie zu verteidigen.
Er landete im Schatten eines Felsens und wollte sich gerade wieder in einen Mann verwandeln, als die Frau laut
auflachte. Der kalte Schein des Mondes fiel auf ihr Gesicht.
Er hatte sie bisher nur einmal gesehen, als sie auf dem Kliff gestanden hatte, aber er würde ihr Gesicht nie vergessen.
Lilith. Die selbsternannte Königin der Untoten.
»Bitte, Mama, bitte. Ich will jagen.«
»Nein, Davey, denk daran, was ich dir gesagt habe. Wir jagen nicht so nahe an unserem Zuhause. Wir haben reichlich zu essen, und da du so brav warst …« Sie beugte sich vor und tippte ihm mit dem Finger an die Nase, eine Geste amüsierter Zuneigung. »Du darfst dir etwas aussuchen.«
»Aber wenn sie schon da sind, macht es doch keinen Spaß.«
»Ich weiß.« Seufzend wuschelte sie ihm durch die goldblonden Haare. »Dann ist es mehr eine Pflicht als ein Vergnügen. Aber es dauert nicht mehr lange. Wenn wir in Geall sind, darfst du jede Nacht jagen.«
»Aber wann?«
»Bald, mein kostbares Lämmchen.«
»Ich bin es satt, hier zu sein«, nörgelte er und trat gegen die Steine. Er hatte ein Gesicht wie ein kleiner Kobold – rund und niedlich. »Ich hätte gern ein Kätzchen. Bitte, kann ich nicht ein Kätzchen haben? Ich sauge es auch nicht aus, wie letztes Mal.«
»Das hast du bei dem kleinen Hund auch gesagt«, erinnerte sie ihn fröhlich lachend. »Aber wir sehen mal. Wie wäre es denn damit? Ich lasse eine für dich heraus, und sie kann durch die Höhlen rennen. Da kannst du sie auch jagen. Würde dir das Spaß machen?«
Er grinste, und Grübchen erschienen auf seinen sommersprossigen Wangen. Und seine Reißzähne schimmerten im Mondlicht. »Kann ich auch zwei haben?«
»So ein gieriger, kleiner Racker.« Sie küsste ihn, aber nicht wie eine Mutter ihren Sohn küsst. Larkin wurde übel. »Das liebe ich so an dir, mein Liebling. Lass uns hineingehen, und dann kannst du dir diejenigen aussuchen, die du haben möchtest, ja?«
Hinter dem Felsen verwandelte sich Larkin. Eine schlanke, dunkle Ratte huschte hinter Liliths langem Rock in die Höhlen hinein.
Es roch nach Tod, und er sah die Vampire in der Dunkelheit. Sie verbeugten sich, als Lilith vorüberschritt.
Es gab nur wenig Licht – hier und da klemmte eine Fackel an der Wand. Als sie jedoch weiter vordrangen, bekam das Licht einen schwach grünlichen Schimmer, der ihm unnatürlich vorkam. Das war Magie, aber nicht wei ße, reine Magie.
Lilith schwebte durch das Gewirr von Gängen und hielt den kleinen Jungen fest an der Hand. Vampire huschten wie Spinnen die Wände entlang oder hingen von der Decke wie Fledermäuse. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht allzu interessiert an Rattenblut waren.
Er blieb Lilith auf den Fersen und hielt sich in den dunklen Ecken. Schließlich wurden die Laute menschlichen Leidens immer deutlicher.
»Was für eine willst du, mein Liebling?«, fragte Lilith, als befänden sie sich auf einem Markt, wo ihr Sohn seine versprochene Süßigkeit bekäme. »Etwas Junges, Schlankes oder vielleicht etwas mit ein wenig mehr Fleisch?«
»Ich weiß nicht. Ich möchte erst in
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