Blau wie Schokolade
hatten, genau wie all die Collegestudenten, die zahlreichen Senioren und Hunderte andere Menschen.
Ich hatte Charlie und alle anderen hintergangen, möglicherweise hatte ich sogar Jays Chance auf die Wiederwahl zerstört. Alles ohne fremde Hilfe. Nur durch meinen großen Egoismus.
»Du hörst nicht auf, Jeanne«, sagte Jay erneut. »Das lasse ich nicht zu.«
Das war süß von ihm. Aber es half nichts. »Doch. Es gibt keine andere Möglichkeit, Jay, das weißt du auch. Nicht mehr du wirst im Mittelpunkt stehen, sondern ich. Du kannst eine Erklärung abgeben, dass du nichts von meinem Verfahren gewusst hast und mir sofort gekündigt hast, als du es erfuhrst. Du bedauerst, dass diese Umstände die Integrität deines Wahlkampfs geschmälert haben, und du lobst die Leute in deinem Team für ihre Leistung. Du kannst das zu deinem Vorteil ummünzen, indem du schnell und entschieden reagierst …«
»Ich habe nein gesagt, Jeanne.« Da war er wieder, der autoritäre Ton.
Ich überlegte, ob ich Charlie bitten sollte, den Raum zu verlassen, aber ich vermutete, dass er ohnehin alles über Jay und mich wusste.
»Jay, dein Urteilsvermögen ist beeinträchtigt durch deine Gefühle für mich – für uns. Du hast deine Entscheidungen noch nie von Gefühlen abhängig gemacht, und damit solltest du jetzt nicht anfangen.«
»Ich lasse mich nicht von meinen Gefühlen leiten, Jeanne.« Seine blauen Schokoladenaugen schauten tief in meine. »Du, Charlie und ich, wir führen diesen Wahlkampf gemeinsam. Wir ziehen ihn bis zum Ende durch. Und wir werden gewinnen. Die Leute in Oregon sind bekannt für ihre Toleranz, für ihre liberalen Ansichten und ihren Gerechtigkeitssinn.«
Riley steckte den Kopf zur Tür herein. »Gouverneur, Entschuldigung, aber draußen steht eine ganze Horde von Reportern.«
»Wir kommen in einer Minute.« Jay trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Du hörst nicht auf. Mach da draußen einfach, was ich sage, dann gibt es kein Problem.« Jay legte seine Hand auf meine. »Vertrau mir! Hol tief Luft und vertrau mir.«
Ich hielt seine warme, starke Hand.
Ich brauchte ein Glas Wein. Ein großes.
Aber ich wusste, dass ich es nicht tun würde. Ich hatte mich von der Trunksucht verabschiedet, von den Kopfschmerzen, den Schuldgefühlen, der Reue und Abscheu, die immer auf das Trinken folgten.
Ich würde nicht zulassen, dass ich wieder die würde, die ich zwölf Jahre lang gewesen war. Ich mochte diese Frau nicht.
Ich spähte auf meine Schuhe. Es waren Schuhe mit Tupfen und Keilabsätzen. Wenn ich schon stürbe, dann in Schönheit. Auf Gummiknien wankte ich zur Tür.
Jay hob mein Kinn an und lächelte zärtlich, als wolle er mir Kraft schenken. »Und nur der Vollständigkeit halber, Jeanne: Auch ich halte die Werbebranche für absolut überflüssig.«
Obwohl ich vor Reue wie gelähmt war, musste ich lachen.
»Es sind überflüssige Schnösel«, murmelte ich, als ich die Tür öffnete. »Absolut überflüssig.«
»Jeanne Stewart ist ein wertvolles Mitglied meines Wahlkampfteams«, sagte Jay zu der Gruppe von Journalisten und Kameraleuten, die sich in die Wahlkampfzentrale quetschten. Er sprach mit fester, entschiedener, genervter Stimme – als sei es eine triviale Angelegenheit und er verärgert, sich damit überhaupt abgeben zu müssen. »Sie wird das Team nicht verlassen. Sie hat eine Vergangenheit – so wie wir alle –, und wir werden diesen speziellen Vorfall von unserem Rechtssystem klären lassen.«
»Ihr Exfreund hat sie in einem Zivilprozess auf Schadensersatz verklagt«, sagte eine dicke Journalistin mit Schuppen in den langen blonden Haaren. Ich hatte sie noch nie gemocht. Sie mich auch nicht. »Wird die gerichtliche Auseinandersetzung Ms Stewart nicht daran hindern, im Wahlkampf mitzuarbeiten?«
»Natürlich nicht. Ms Stewart arbeitet seit Monaten mit mir zusammen. Sie ist ein Profi. Sie hat dem Wahlkampf neue Ideen, Visionen und Impulse gegeben, und das wird sie auch weiterhin tun.«
»Was ist mit dem Vortrag vor den Werbern in Chicago? Haben Sie keine Sorge, dass Ms Stewart möglicherweise dem Druck des Wahlkampfs nicht standhalten wird?« Wieder die fette Blondine. Sie hatte Jay immer schon schöne Augen gemacht, als wollte sie ihn verschlingen.
Jay lachte. Es klang wegwerfend. »Ms Stewarts Rede hatte nichts damit zu tun, ob sie Druck aushalten kann. Wir haben alle unsere persönliche Meinung; Ms Stewart hatte schlicht und einfach den Mut, sie zu äußern. Sie ist
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