Blau wie Schokolade
festzuhalten, kurz: »das Herz des Wahlkampfs« zu sein.
Und er sah zum Anbeißen aus! Am liebsten hätte ich ihn mitten auf den Mund geküsst.
Während er sprach, herrschte Ruhe, aber immer wieder jubelten alle los wie die Verrückten.
Ich jubelte nicht wie verrückt, ich war schließlich nicht irre. Ich klatschte stattdessen.
Jay bedankte sich bei jedem, hielt sich lange mit Charlie auf, was auch richtig war, denn Charlie war ein hervorragender Stratege.
»Und zum Schluss möchte ich gerne einem neuen Mitarbeiter danken.«
Jay und ich schauten uns in die Augen. Sein Blick war samtweich wie Schokolade.
»Jeanne Stewart.« Jay machte mir Zeichen, nach vorne zu kommen. Wieder jubelten alle wie von Sinnen.
Zuerst konnte ich mich nicht regen. Hatte Jay meinen Namen genannt? Riley und Charlie schubsten mich unelegant nach vorn. Du lieber Himmel! Mit Jay vor all diesen Menschen stehen?
»Kommen Sie, Jeanne!«
Meine Beine bewegten sich, als watete ich durch einen Sumpf. In meinem Kopf hingegen tat sich nichts.
Als ich nach vorne ging, klopften mir die Mitarbeiter auf die Schulter und jubelten. Es wäre dumm zu sagen, dass mich das kaltließ. Es war rührend.
»In den letzten Wochen hat Ms Stewart viele von uns überrascht«, erklärte Jay.
Er hielt inne, und ich darf sagen, dass die ganzen Studenten mit ihrem dicken Kopf johlten und brüllten.
»Sie hat bestimmte Themen angesprochen, die vielen von uns niemals in den Sinn gekommen wären, und hat Parallelen zum Wahlkampf gezogen.«
Die verrückten Heuler fanden diese Feststellung wohl noch lustiger als die vorige.
»Mal sehen … wenn ich das richtig verstehe, hat Ms Stewart die Gesundheitsvorsorge unserer Konkurrenz mit Viagra verglichen: gut für ein paar Minuten, aber wenn man genau hinsieht, merkt man, dass alles getürkt ist.
Ihrer Meinung nach würden sich die Mütter in Oregon über die Einschnitte in Mantels Bildungsbudget genauso freuen wie über das frühzeitige Einsetzen der Wechseljahre.
Sie hat Eiscreme für alle ausgegeben, um jeden zu erinnern, dass ich dem Wähler als umweltfreundlicher Gouverneur angepriesen werde. Das Vanilleeis sollte Mount Hood darstellen, der Schokoladensirup unsere Flüsse, die Schlagsahne den Schnee, und die Nüsse sollten die Seen unseres Staates symbolisieren.«
Erneuter Jubel. Das Eisessen war sehr gut angekommen.
»Außerdem bezweifle ich«, sagte Jay, »dass bei Mr Mantel im Büro jemand Yogastunden gibt.«
Das hatte ich nur zweimal gemacht. Die Mitarbeiter hatten eine kleine Pause gebraucht. Riley hatte sein Bein sogar hinter den Kopf bekommen. Camellia hatte Spagat gemacht.
»Also, vielen Dank, Ms Stewart, dass Sie diesem Wahlkampf Kraft und Energie gegeben haben.«
Und wieder johlten und brüllten die Studenten los. Die Besprechung wurde offiziell für beendet erklärt, und Damon, Charlie, Jay und ich gingen in den Konferenzraum und kamen zur Sache. Immer wieder schauten Jay und ich uns in die Augen. Mein Unterleib wurde so heiß, dass ich fürchtete, er würde bald Flammen schlagen.
Auf dem Rückweg fuhr ich ganz langsam über die Brücke, um sicherzugehen, dass mein Wagen nicht über das Geländer hüpfte und tief in den Fluss mit den unzähligen Ungeheuern fiel. Gab es da unten Delphine, die einem das Leben retteten? Der Fahrer hinter mir drückte auf die Hupe. Ich tippte kurz auf die Bremse, weil hupende Autos auf der Brücke mich noch nervöser machen.
Gegen zwölf ging ich zu Bett. Bilder von Jay Kendall tanzten mir durch den Kopf. Aktbilder.
Ich sprach noch mit einigen weiteren Männern, die sich als Handwerker ausgaben und mein Haus renovieren wollten. Doch eher würde ich eine Horde Opossums engagieren als diese Kerle. Als ich mit meiner Weisheit am Ende war, fuhr Ricardo Lopez vor. Er war ein kleiner Latino mit runden Gesichtszügen, schüchternen schrägen dunklen Augen und einer breiten Brust. Er kam mit seiner Frau Therese, seinen Söhnen Roberto und Rudy und seiner Tochter Alessandra.
Und mit ihnen kamen Friede, Lachen und Freundschaft.
Und eine Leiche. Die kann ich einfach nicht vergessen. Und wie schwierig es war, den Toten die steile Treppe hinaufzuwuchten. Die Familie Lopez brachte mehr Geheimnisse in mein Leben.
Aber ich greife vor.
Ricardo und Therese fuhren am Samstag mit ihrem klapprigen, quietschenden Lieferwagen vor, die drei Kinder hinten, das Mädchen in der Mitte. Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit schwebte über ihnen wie eine dunkle Wolke.
Zuerst dachte ich,
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