Blau wie Schokolade
schaffte ich es.
Ich blickte auf Johnny und mich. Wir waren am Strand, und ich konnte das Salzwasser riechen, den heißen Sand spüren. Johnny kauerte auf den Fersen, ich saß breitbeinig auf seiner Hüfte, meine alten Schlappen baumelten an meinen Zehen, meine Locken waren vom Wind zerzaust. Johnnys Haar, lang und blond, hing ihm über die Ohren. Er grinste breit.
Johnny war nicht sehr groß gewesen, aber er hatte ein großes Herz gehabt, eine Liebe zum Leben, zu den Menschen, zu mir. Meine Mutter hatte für ihn geschwärmt. Mehrmals hatte sie ihm den Nachtisch vor dem Essen serviert. So sehr liebte sie ihn.
Ich blätterte durch die Seiten, mein Herz schlug laut, meine Hände zitterten, meine Augen brannten.
Ich sah Johnny und mich mit Freunden oder beim Fliegenfischen in gebatikten Hemden. Johnny und ich schick angezogen auf der Hochzeit seiner Schwester, die glücklich lächelnde Braut zwischen uns. Johnny und ich nach einem Streit, als wir uns mit Schlagsahne bespritzt hatten. Johnny und ich beim Camping, jeder stolz mit sechs aufgespießten Würstchen. Johnny und ich im Profil, schwarzweiß. Johnny und ich mit Marshmallows im Mund.
Das Hochzeitsfoto brachte mich fast um. Wir hatten kein eigenes Album gewollt, sondern empfanden die Heirat als natürliche Entwicklung unserer Beziehung.
Unser beider Familien waren auf der Hochzeit, kein einziger Verwandter fehlte. Alle waren glücklich. Es gab förmliche Fotos von mir und Johnny und von uns beiden zusammen. Lustige Bilder von uns mit unseren Schulfreunden, die Arme miteinander verschränkt. Es gab ein Foto von der gesamten Hochzeitsgesellschaft als Pyramide, dann eines der Freunde des Bräutigams, die alle auf dem Kopf standen. Eine Aufnahme von oben zeigte alle Hochzeitsgäste, die im Kreis auf dem Boden lagen. Das letzte Foto glich dem ersten im Album: Vornübergebeugt trug Johnny mich in meinem Hochzeitskleid auf dem Rücken, meine Schlappen baumelten an den Füßen, meine goldenen Locken fielen mir auf den Rücken.
Ich klappte das Album zu, drückte es an mich und wiegte mich im Korbstuhl.
Es war eine Freude und eine Auszeichnung gewesen, Johnnys Frau zu sein.
Genau das war es.
15 . KAPITEL
»Jeanne hat als Einzige die Voraussetzung erfüllt, um sich vom Weg der Wut abzubringen«, verkündete Emmaline mit strenger Miene, die Arme weit ausgebreitet.
Sie war wie immer weiß gekleidet, komplett mit weißen Stöckelschuhen. Dazu hatte sie sich noch einen Strohhut aufgesetzt. Nachdem wir vierzig Minuten an den Sandsäcken hatten verbringen müssen, hatte sie uns angewiesen, unsere eigenen Hüte »künstlerisch zu gestalten«. Das hatten wir unter Zuhilfenahme diverser Materialien getan.
»Bradon, in dir brodelt noch immer die Wut wie ein großer Kessel Suppe, der unten anbrennt. Du scheinst immer noch vor Erregung zu knistern wie ein Feuerwerk. Du lässt zu, dass deine Feindseligkeit dir vorausgeht wie eine Fackel. Jeden Moment könntest du explodieren, auf den Tisch springen und Stühle zertrümmern.« Bradon hatte seinen Hut mit bunten Pompons beklebt. Er nahm ihn vom Kopf und fuhr sich mit den Händen über den kahlen Schädel.
»Rosen, Bradon, Rosen! Sieh die Rose vor dir! Sei eine Rose! Lebe die Rose! Das ist so einfach, Mann. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen? Was?«
»Ich bin mies«, sagte Bradon. »Echt. Aber ich versuche es bei meiner Frau gutzumachen. Ich bin mit ihr essen gegangen und ins Kino …«
»Rosen!«, rief Emmaline. »Rosen! Begreif es doch endlich, Bradon, begreif es! Ist da oben denn keine einzige graue Zelle mehr, die noch denken kann?«
Sie flitzte hinüber zu Soman.
»Soman, du hast dich nicht als Frau verkleidet und hast nicht in deinem wahren Ich die Stadt erkundet.« Soman hatte kleine Bänder zu Bögen geflochten und sie geschickt an der Krempe seines Huts befestigt. Er sah exotisch und fröhlich aus. Soman war ein Künstler.
»Hey, Emmaline, ich bin ein echter Mann. Das hier ist mein wahres Ich. Männlich. Kraftvoll. Ich bin ein Hengst. Ich habe so viel Testosteron in mir, da können die meisten Männer nur von träumen, und das ist eine Tatsache!« Er nestelte an dem riesigen rosa Bogen herum, den er über seinen Hut gewunden und unterm Kinn zusammengebunden hatte. Seine Zöpfe hingen ihm bis auf die Schultern.
»Eine Frau zu sein, das ist dein wahres Ich, Soman. Wenigstens manchmal«, beharrte Emmaline. »Der Grund, warum du dich immer wieder prügelst, liegt in deinem Unterbewusstsein, im Unbewussten.
Weitere Kostenlose Bücher