Blau wie Schokolade
Baumarkt, fasste mein Haar zu einem Knoten zusammen, setzte eine große Brille auf und holte mehrere Säcke Gartenerde, die ich bar bezahlte.
Ich kam mir vor wie ein Mafioso. Ein Loch graben, die Leiche reinwerfen, Erde draufschaufeln. Fertig.
Eine Stunde vor dem angesetzten Termin am Dienstagabend trafen die Gäste in fröhlicher Stimmung auf dem Grundstück des Migrantenschrecks ein. Wegen des Gestanks hielten sich alle vom Klohaus fern. Rosvita und ich waren früher gekommen, um uns mit Tory zu treffen und die beste Vorgehensweise zu besprechen.
Alle Migranten waren da, dazu fast alle Einwohner von Weltana. Rosvita händigte Plastikhandschuhe aus, »falls ein Bazillus aus dem Klohaus springen sollte«. Außerdem verteilte sie weiße Atemschutzmasken.
»Diese Bakterien sind hinterhältig«, verkündete sie mit einem Megaphon. »Setzt die Masken auf und zieht die Handschuhe an!«
Alle gehorchten.
Am Vortag hatte der Polizeichef das Haus des Migrantenschrecks aufbrechen lassen, damit die Arbeiter die sanitären Einrichtungen dort benutzen konnten, denn das Gesundheitsministerium hatte das Klohaus für absolut unhygienisch und unbrauchbar erklärt.
Als es Zeit war für den Abriss, nahm Paul das Megaphon und wandte sich an die, wie es aussah, komplette Einwohnerschar von Weltana: »Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie heute gekommen sind. Heute ist ein verdammt wichtiger Tag! Heute wird Tory diese grässliche Toilette abreißen. Nach jahrelanger Arbeit habe ich endlich die Erlaubnis vom Staat erhalten. Wir werden das Drecksteil ausgraben und dann, hat Rosvita gesagt, dort einen Kirschbaum pflanzen. Einen verdammten rosa Baum mit schönen rosa Blüten!« Die Gäste jubelten. »Dan wird das nicht freuen, aber ich habe eh keine Ahnung, wo er steckt, deshalb wird er sich damit abfinden müssen, wenn er wieder da ist. Tory!«
Tory stellte sich vor ihren Traktor. »Bist du bereit, Schätzchen?«, rief sie.
Der Polizeichef brüllte ins Megaphon: »Bist du bereit, Weltana?«
Und die Einwohner jubelten zustimmend.
»Bist du bereit, Weltana?«, wiederholte er.
Noch lauterer Jubel.
»Wir sind bereit, Tory«, rief der Polizeichef und reckte die Faust in den Himmel. »Lass es krachen!«
Tory machte ein großes »V« für
Victory
, alle johlten und klatschten, dann legte Tory den Kopf in den Nacken und schaute hoch zum Himmel, als würde sie Gott danken. Mit großer Eleganz setzte sie sich in ihren Traktor, ließ den Motor aufheulen und fuhr ein ganzes Stück zurück, um die Dramatik zu steigern. Zum rhythmischen Klatschen der Menge legte der Traktor los. Als Tory gegen das Klohaus krachte, hatte sie einen ziemlichen Zahn drauf und schrie ihre Freude in den klaren blauen Himmel.
Schon beim ersten Stoß brach das Klohaus zusammen.
Ich muss sagen, die Leute flippten aus.
Tory winkte in die Runde, setzte erneut zurück, gab Vollgas und donnerte wieder gegen das Klohaus. Dann ein drittes Mal. Man merkte, dass sie fast in Ekstase geriet, als sie mit dem Trecker über den Holzhaufen rollte.
Wilde Ekstase.
Eine Stunde später war die Party bei Rosvita in vollem Gange. Die Leute hatten Tische und Stühle mitgebracht und auf der Wiese am Fluss aufgestellt. Die Tische ächzten unter den mitgebrachten Speisen.
Rosvita schien einen Riesenspaß zu haben, so als habe sie unsere geplanten Untaten völlig vergessen. Donovan lief ihr hinterher, ein nettes Grinsen im Gesicht. Mit seinen Arien würde er alle fesseln und entzücken, so dass wir verschwinden konnten.
Rosvita hatte die Handschuhe und Atemschutzmasken wieder eingesammelt und sie vor einem Anschlagbrett aufgestapelt, auf dem »Bazillensammelstelle« stand. Sie versuchte, die Gäste in Diskussionen zu verwickeln, wollte ihnen erklären, wie viel Bazillen Menschen an den Händen hatten – jeden Tag, und manche davon stammten sogar von der Toilette –, aber als niemand großes Interesse zeigte, gab sie auf, zog sich ein neues Paar Handschuhe über und holte sich einen Teller mit Essen.
Die Lopez-Familie war ebenfalls da, auch wenn alle ziemlich still waren. Ricardo war müde, Roberto in sich gekehrt, Rudy traurig, Alessandra verängstigt, und Therese, die Mutter, sah so verhärmt aus, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen. Dennoch – da war noch eine andere Empfindung in ihrem Gesicht. Stolz? Kraft? Furchtlosigkeit? Ich wusste es nicht. Hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken.
Als es dunkel war und Donovan mit seinen Arien
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