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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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wenn gewisse Personen unter der Erde ruhten.
    Und eine von ihnen war der Migrantenschreck.
    Die Fahrt zurück zur Party war genauso unangenehm still wie die Hinfahrt. Einmal mussten wir anhalten, damit Rudy sich übergeben konnte, und kurz darauf tat Ricardo es ihm nach. Wir fuhren mit heruntergelassenen Scheiben, damit der kühle Wind den Gestank der Leiche vertrieb.
    Bei Rosvita angekommen, stellte ich den Motor aus, und wir blieben schweigend im Wagen sitzen.
    »Dan Fakue hat ein abscheuliches Verbrechen an Alessandra und anderen Frauen begangen«, sagte Rosvita. »Er muss sich jetzt in der Hölle vor dem Teufel verantworten.«
    »Er wurde bestraft«, sagte Rudy mit harter Stimme. »Er hat seine Strafe verdient für das, was er Alessandra angetan hat.«
    Ricardo nickte. »Ja, das stimmt. Aber wir werden nie wieder darüber sprechen.« Eindringlich sah er seine Söhne an. »Nie wieder. Mit niemandem.«
    Ausnahmsweise war auch Rosvita leise. »Mit niemandem«, sagte sie.
    Alle nickten zustimmend.
    Keiner von uns würde reden, das wusste ich. Alle hatten zu viel zu verlieren.
    Aber in den vor uns liegenden Monaten würde sich unser Geheimnis verändern, sich verlagern.
    So was tun Geheimnisse nämlich.
    Sie verändern und entwickeln sich.

18 . KAPITEL
    Wir zogen uns um, da die Gäste natürlich argwöhnisch werden würden, wenn wir ganz schwarz gekleidet mit Skimasken auf der Party erschienen. Unauffällig mischten wir uns nacheinander unter die Leute, damit es nicht so aussah, als hätten wir gerade eine Leiche unter einem Kirschbaum begraben. Donovan sang noch immer, sein Publikum brachte ihm nach jeder Arie stehende Ovationen. Als ich die hellen Lichter und die mit leckerem Essen beladenen Tische sah und Donovans triumphierende Stimme hörte, hatte ich endlich das Gefühl, dass die schwarze Nacht sich zurückzog und mich wieder zu Atem kommen ließ.
     
    Die meisten Menschen würden am nächsten Morgen ausschlafen und entspannen wollen, wenn sie eine Leiche tief in feuchter Erde am Standort eines verseuchten Klohauses begraben hätten. Sich vielleicht eine Pediküre gönnen.
    Ich war um vier Uhr wieder wach, lief um fünf nach vier am Fluss entlang und brach um halb sechs zur Arbeit auf. Um zwanzig nach sechs traf ich im Büro ein. Weil ich mir für den Migrantenschreck so viel Zeit hatte nehmen müssen, lag eine Menge Arbeit auf meinem Schreibtisch.
    Presseerklärungen.
    Eine Rede, die fertiggestellt werden musste, eine zweite, die noch entworfen werden musste.
    Ich hatte ungefähr zweitausend Rückrufe zu tätigen, Besprechungen vorzubereiten, E-Mails zu beantworten, Aufgaben zu delegieren, Jays Anrufe entgegenzunehmen.
    Ich riss mich zusammen, um nicht in Jay Kendalls blaue Augen auf den Postern im Büro zu schauen. So war es einfacher für mich. So gut es ging, überzeugte ich mich, Jay als ein Produkt zu sehen, das ich vermarkten musste, nicht als Menschen, den ich in mein Leben gelassen, begehrt und verloren hatte. Auf diese Weise war es nicht so schmerzhaft für mich.
    In drei Monaten würde gewählt werden. Ich konnte damit umgehen, es runterschlucken, damit leben, redete ich mir ein. Oder etwa nicht? Ich verdrängte die trüben Gedanken, die mich in letzter Zeit in einen immer tieferen Abgrund stürzten. Bloß nicht noch weiter nach unten. Es gefiel mir dort nicht.
    Auf dem Weg zum Kopierer schwankte ich auf meinen superschicken dunkelblauen Stöckelschuhen mit den strassbesetzten Schnallen, die perfekt zu meiner Hose, der kurzen Jacke und dem weißen Spitzenshirt passten, das ich neulich in der Mittagspause gekauft hatte.
    Doch hielten die superschicken blauen Stöckelschuhe plötzlich inne, als sich die Eingangstür öffnete und Jay hereinkam.
    Meine erste Reaktion: Trauer.
    Die zweite: Begierde.
    Die dritte: Sehnsucht.
     
    Manchmal überrascht man jemanden in einem unbedachten Moment. Dann zeigt sich für einen Sekundenbruchteil in seinem Gesicht, was er wirklich denkt und welche Gefühle er hegt.
    Und in jenem herrlichen Sekundenbruchteil wusste ich, was Jay tatsächlich für mich empfand. Ich wusste es einfach.
    Es war so klar. Vor Erleichterung hätte ich weinen können.
    Ich war so glücklich, dass ich fast meine Fersen in den schicken Schuhen zusammengeschlagen hätte.
    »Jeanne«, sagte er mit seiner rauen Stimme. Unglaublich erotisch.
    »Jay«, sagte ich und lächelte ihn an.
    »Wie geht’s Ihnen?«
    Wie es mir ging? Eigentlich nicht besonders gut, dachte ich. Ich hockte in einer dunklen

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