Blau wie Schokolade
bin da.« Emmaline streichelte Beckys Bein. »Entspann dich. Bleib ruhig. Konzentrier dich auf Frieden, auf Licht, auf Heiterkeit.«
Ich betrachtete Emmaline. Diese starke, fordernde, schnell aufgebrachte Frau war völlig aus der Fassung. Absolut fertig. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Hände glichen zwei panisch flatternden Vögelchen.
Becky drehte ihren zarten Kopf mir zu. Dann hüpfte ihr Blick hinüber zu Bradon, der sich über sie beugte.
»Hi, Becky«, sagte ich. Meine Stimme brach. Ich war so froh, ihre Stimme zu hören. Diese Frau und ich waren einmal im Kurs zusammen so gute Eichelhäher gewesen. Wir hatten Soman angegriffen, der wieder den Geier spielte.
»Hey, Schätzchen«, sagte Bradon. Er beugte sich vor und küsste Becky auf die Stirn. Dann stellte er ihr seine Frau vor.
»Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte Becky, höflich wie immer. »Wie geht es den Rosen?«
Olivia schien sich nicht über die Frage zu wundern. »Sie sind wunderschön«, sagte sie. »Züchtest du auch Rosen?«
Becky schloss kurz die Augen. »Früher.«
Olivia nickte. »Hast du vielleicht einmal Lust, dir unsere Rosen anzusehen?«
Große Tränen kullerten Beckys Wangen hinunter. »Gerne. Welche Sorten habt ihr denn?«
»Ich habe viele verschiedene. Seit kurzem interessiert sich Bradon plötzlich auch für Rosen, so dass wir in den letzten zwei Monaten viele verschiedene Sorten angepflanzt haben. Er musste auf der letzten Rosenausstellung, wo wir gemeinsam waren, einfach welche kaufen.« Olivia tätschelte Bradons Arm. »Er hat acht neue Rosenbüsche gekauft, zwei davon Kletterrosen für das Spalier, das er für mich im Garten gebaut hat. Außerdem will er dieses Jahr mit mir an einem Rosenwettbewerb teilnehmen. Letztes Jahr habe ich dort den vierten Platz gemacht, aber diesmal holen wir den ersten, nicht, Bradon?« Dann zählte Olivia ihre Rosensorten auf.
Becky erkundigte sich nach ihren Lieblingssorten, und Olivia antwortete, sie sei sich mit Bradon einig, dass sie am liebsten Teerosen mochten, nachdem sie mehrere Rosenbücher durchgeblättert und mehrere Rosengärten besucht hätten.
»Jetzt hört mal mit diesem Rosenscheiß auf«, sagte Soman und schüttelte seinen großen Kopf, dass die Zöpfe flogen. Er wirkte zornig, aber in Wirklichkeit machte er nur einen auf Macho. Wenn Männer Angst bekommen, pumpen sie sich auf. Die Angst macht sie wütend, so dass sie herumschreien, die anderen anfahren oder alles herunterspielen. »Becky, du sagst uns jetzt, warum du dir mit der Rasierklinge die Hände abschneiden wolltest! Mensch, magst du deine Hände etwa nicht?«
Eigentlich hatte Soman seine Frage nicht lustig gemeint.
Sie war nicht lustig. Überhaupt nicht.
Nichts daran war komisch.
Und doch verzog Becky die Lippen zu einem Grinsen.
»Was ist eigentlich los mit dir, Mädel? Du lachst darüber, dass du dir die Hände abschneiden wolltest? Das ist nicht witzig, Mädel, ich bin richtig sauer auf dich. Das sag ich dir, hab ich kein Problem mit. Ich bin SAU - ER auf dich! Lass deine Hände da, wo Gott sie hingetan hat.«
Becky schloss wieder die Augen, sie war so schwach. Dann lachte sie, krächzend und harsch. Und weil Becky lachte und weil die Vorstellung, dass jemand seine Hände nicht mochte, in dieser makabren, schrecklichen Situation irgendwie erheiternd war, lachten wir alle.
Unser Gelächter erfüllte das Zimmer wie der Geruch von warmem Brot und Zimtschnecken, breitete sich bis in den letzten Winkel aus, auch wenn der Tropf wie ein grässliches steifes Tentakel aufragte und der weiße Verband Becky so klein wirken ließ.
Emmaline beugte sich vor und umarmte Becky. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht feucht. Schnell huschte sie zum Fenster, um ihre Tränen zu verbergen. Olivia nahm Becky in den Arm; Bradon ergriff ihre Hände und sagte: »Wir haben dich alle lieb, Becky. Tu dir so was bitte nicht wieder an, Schätzchen.« Soman ragte groß über ihr auf und schüttelte den Kopf, schlug die Zöpfe hin und her und sagte Becky immer wieder, er sei so dermaßen sauer auf sie, so der-ma-ßen sauer.
Becky musste weinen, und Soman hörte auf, setzte sich mit seinem massiven Körper aufs Bett, nahm Becky in die Arme und drückte sie an sich. Fast verschwand sie in seiner Umarmung.
»Und jetzt versprich mir eins, Becky –«, begann er.
»Ich weiß, was du sagen willst, Soman. Ich behalte meine Hände dran. Genau da, wo Gott sie hingetan hat.«
Und als ich dieses groteske Versprechen hörte,
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