Blau wie Schokolade
sollte.
Außerdem war bestätigt worden, dass Mantel tatsächlich eine Affäre mit einer Angestellten gehabt hatte, einer forschen Dreiundzwanzigjährigen, was Jay jedoch nicht im Wahlkampf ausschlachten wollte.
Damit war Damon nicht einverstanden gewesen. Er hatte Jay all diese Tatsachen vorgehalten, worauf er von Jay zusammengefaltet worden war. Der Gouverneur wollte die arme Frau mit der Abtreibung nicht ins Licht der Öffentlichkeit zerren, und sie hatte ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht mitmachen würde. Den Bruder wollte Jay ebenso wenig vorführen, weil er es für falsch hielt. Und was die Affäre anging – auch da war Jay, genau wie Charlie, ich und die anderen, streng dagegen, eine reine Privat- oder Familienangelegenheit öffentlich zu machen, denn er sorgte sich um die Auswirkungen auf Mantels bereits kranken Sohn und auf dessen Frau, die Jay kennengelernt hatte und gerne mochte.
Ich war klug genug zu wissen, wenn jemand klüger war als ich, und das war bei Jay der Fall. Außerdem hatte er mehr Selbstbewusstsein und war schlichtweg netter als ich. Er war ein freundlicher Mann. Tolerierte zwar keine Schwächen und Aussetzer, blieb dabei aber freundlich. Außerdem hatte er einen knackigen Hintern. Da schlackerte nichts. Jays Hintern machte einen selbstsicheren Eindruck, und das gefiel mir.
Ich spritzte mit dem kalten Wasser herum. Die Eulen riefen wieder, und ich stellte mir vor, dass sie sich allabendlich über mich unterhielten. Mit ausgestreckten Armen drehte ich mich, bis ich in der Mitte des Flusses war. Die Sterne über mir drehten sich mit. Ich fragte mich, wo Jay wohl gerade war.
Als ich innehielt, gönnte ich mir eine kleine Abwechslung und stellte mir vor, wie es wohl wäre, mit Jay verheiratet zu sein. Glückselig. Herrlich.
Und für ihn eine Katastrophe.
Ich dachte an meine Vergangenheit, an meine Probleme. Ich wäre eine völlig unpassende Frau für den Gouverneur von Oregon.
Eine Frau, die sich in Kneipen prügelte, die ihren letzten Lebensgefährten auf kreative Weise verletzt hatte, die Leichen vergrub und dazu ein Alkoholproblem sowie ein großes Mundwerk hatte, von dem öffentlichen Nervenzusammenbruch ganz zu schweigen.
Ich merkte, dass die Depression sich wieder über mich legte, schwarz und schwer wie eine klebrige Masse. Ich beschloss, mich in den Fluss zu setzen, damit er meinen müden Körper belebte. Ich ging ans grüne Ufer, zog meine braune Samthose, mein Tanktop und den Seidenpulli aus, dann watete ich zurück in das kühle Nass. In meinen roten Spitzendessous senkte ich mich langsam hinein.
Mein Hintern fror im eisigen Wasser, alles kribbelte, meinen Lippen entwich ein hohes Quietschen, doch sobald sich mein Hinterteil an die Temperatur gewöhnt hatte, entspannte ich mich. Die Tannen waren einfach da, die Eulen schrien, der Mond leuchtete, und ich stützte mich auf die Ellenbogen und ließ das kühle Wasser fließen.
Als ich hinauf zu meinem Zimmer schlich, die Klamotten, das Portemonnaie und die Aktentasche im Arm, bemühte ich mich, keine Tropfen auf Rosvitas Boden zu hinterlassen. Ich duschte glühend heiß und zog mir eine Jeans und ein übergroßes schwarzes Sweatshirt an. Dann schaute ich auf mein Handy, das ich zwischenzeitlich ausgestellt hatte. Ich rechnete nicht damit, dass Jay angerufen hatte, hoffte es aber.
Ich hatte sechs Nachrichten. Fünf hatten mit der Arbeit zu tun, aber keine war von Jay.
Die sechste stammte von Soman. »Jeanne, Süße, hier gibt’s ein Problem … Scheiße, Mann … komm schnell ins St. Eileen’s. Ich kann’s echt nicht fassen … aber sie schafft es, ich weiß, dass sie es schafft. Das wird schon wieder. Es war so viel Blut, Jeanne, o Gott.«
Wie eine Flipperkugel raste die Angst durch mich. Ich hörte, wie Soman schluchzte und weinte und nach Luft rang. »Meine Süße, oh, Mann …« Er redete anscheinend mit jemand anderem.
»Jeanne, Becky ist verletzt. Wirklich schlimm verletzt. Sie hat versucht … oh, mein Schatz.« Wieder weinte er. »Sie hat die verfluchten Rasierklingen genommen. Komm her und hilf mir! Bradon und Emmaline kommen auch.«
Ich klappte das Handy zu, schlüpfte in die erstbesten Stiefel im Schrank, nahm meine Handtasche und raste zurück nach Portland.
Auf dem Parkplatz des Krankenhauses St. Eileen brachte ich den Wagen zum Stehen und eilte zur Anmeldung.
»Becky …«, begann ich und hielt keuchend inne. Ich kannte Beckys Nachnamen nicht. Hatte ich ihn je
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