Blau wie Schokolade
wusste ich, dass wir alle durchkommen würden, auch wenn Becky etwas früher am Abend nichts mehr für ihre Hände übriggehabt hatte.
19 . KAPITEL
Einige Tage später kam es zwischen Soman und Bradon auf dem Krankenhauskorridor fast zu einer Prügelei, als sie sich stritten, wer von ihnen Becky mit nach Hause nehmen würde. Olivia, Emmaline und ich stellten uns wohlweislich zwischen die beiden Riesen.
Das Problem war, wie wir in jenen furchtbaren Tagen herausfanden, dass Becky kein Haus hatte, zu dem sie zurückkehren konnte. Sie kam manchmal in einem Wohnheim unter, dann wieder lebte sie auf der Straße. Die traurige Wahrheit lautete, dass Becky obdachlos war. Wir riefen die Unterkunft an, wo sie öfter übernachtete, und die Frau dort sagte uns, Becky würde immer gehen, wenn eine Mutter mit Kindern einen Platz benötige, damit sie wenigstens ein Dach über dem Kopf hätten. Becky würde sich dann eine andere Bleibe suchen, aber oft seien nirgendwo mehr Betten frei. Dann bliebe sie auf der Straße.
Wenn ich Becky zum Essen eingeladen hätte, hätte ich das vielleicht eher erfahren. Am liebsten hätte ich mir in den Hintern gebissen. Warum hatte ich nicht erkannt, dass sich Becky in einer ausweglosen Situation befand? Warum hatte ich nicht versucht, die Wahrheit zu sehen?
»Wir nehmen sie mit nach Hause«, brüllte Bradon Soman an. Sein kahler Schädel begann vor Schweiß zu glänzen. »Wir haben einen riesengroßen Rosengarten, da kann Becky meiner Frau helfen. Sie mag Rosen, hast du ja gehört. Die Gartenarbeit ist eine richtige Therapie. Außerdem haben wir ein freies Schlafzimmer. Bei uns lebt sie in einer
Familie …
«
»Allerdings, Mann, ihr habt zu Hause ’ne Horde Kinder rumlaufen«, schrie Soman. »Ich war schon bei euch, Bruder, ich find’s echt klasse und ich find alle toll, aber ruhig ist es wirklich nicht bei –«
»Bei dir denn etwa? Bei dir plärrt die ganze Zeit die Anlage –«
»Die kann ich auch auslassen!«
»Und du spielst in einer Band!«
»Dann sag ich der Band halt, dass sie nicht kommen soll!« Somans Zöpfe flogen ihm um den Kopf. Er starrte Bradon in die Augen.
»Aber du bist ein Mann, und sie ist eine Frau! Das geht nicht!«
Soman öffnete den Mund und schloss ihn, zweimal, dann schaute er sehr verletzt drein. Soman war kräftig und muskulös, aber ich muss sagen, dass dieser Mann eine sehr sensible Seite hatte, die auch dann zum Vorschein kam, wenn er kein Kleid trug.
Manchmal weinte er in der Therapiestunde, er sang, er sprach über seine Gefühle. Ich hatte den Kerl unheimlich gern. Ich konnte mit Soman reden wie mit meiner besten Freundin, wenn ich eine gehabt hätte. »Ja, du hast recht, ich bin allein und Becky auch, aber ich hätte gedacht, du wüsstest, dass ich Becky niemals anmachen würde. Mann, ich würde keine Frau anmachen, die das hinter sich hat, was Becky erlebt hat. So was kann sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen.«
Bradon fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel und schaute zu Boden. »Tut mir leid, Mann, hab ich nicht so gemeint.«
Olivia schüttelte wütend den Kopf. »Vergib ihm, Soman. Bradon sagt immer, was er denkt, egal, was es ist.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Bradon, aber es klang wie eine rein mechanische Antwort, als hätten sich die beiden schon oft darüber gestritten.
»Doch.«
»Nein. Ich denke, dass Becky sich vielleicht unwohl fühlen könnte, allein mit einem Mann.«
»Ich bin nicht irgendein Mann, Junge! Ich bin Soman! Soman! Ich mache mit der Frau zusammen eine Therapie! Wir sind Freunde! Wir tun so, als würden wir fliegen! Ich sitze in der Bastelstunde neben ihr. Wir haben zusammen in der Schrei-Ecke geschrien. Mann, sie wollte mich vor einem Mann retten, der so groß war wie ein Ochse und schlimmer stank als ein räudiger Hund!«
»Ich nehme sie mit nach Hause«, sagte ich.
Vier Köpfe fuhren zu mir herum.
»Aber du hast ja nicht mal ein Haus, Jeanne«, bemerkte Soman.
»Und du wohnst eine Dreiviertelstunde außerhalb von Portland«, fügte Bradon hinzu.
Ich nickte.
»Ich bringe sie in meinem Bed & Breakfast unter. Die Landluft wird ihr guttun. Dort kann sie sich entspannen und hat Abstand zu alldem hier. Wenn ich bei der Arbeit bin, kann sie sich mit Rosvita unterhalten, der das Haus gehört.«
Rosvita würde sich freuen, Becky bemuttern zu können. Das wäre eine schöne Aufgabe für sie, nun da sie nicht mehr durch den Ort laufen und die Kronjuwelen des Migrantenschrecks mit Bleichmittel
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