Blaubeertage (German Edition)
eine Frage stellen?«
Er schaut mich erwartungsvoll an. Mir wird klar, dass ich keine Fragen habe. Oder vielleicht habe ich zu viele. Warum zum Beispiel ist er hier? Wann wird er mitkriegen, dass ich nicht zu ihm und seinen Leuten passe? Wie kommt es eigentlich, dass er sich für mich interessiert? Warum genau scheint er sich für mich zu interessieren? … Falls er das überhaupt tut. »Kann ich jetzt gehen und den Laden vorbereiten?«
9.
N ein. Okay, ich bin dran. Warum bin ich arrogant rübergekommen?«
Ich starre auf die Falte am Ärmel seines T-Shirts – ein klarer Beweis, dass es gebügelt wurde. Wer bügelt bitte T-Shirts? »Du hast mich herangewinkt«, sage ich.
Seine braunen Augen blitzen. Selbst seine Augen mit ihren goldenen Sprenkeln erinnern mich daran, wie viel Kohle er hat. »Ich habe bitte was?«
»Bleib, wo du bist. Ich bin jetzt du.« Ich gehe ganz nach hinten in den Lagerraum und tue so, als würde ich durch eine Tür kommen und dabei telefonieren. Wichtigtuerisch gehe ich ein paar Schritte, bleibe stehen und starre an die Wand, dann hebe ich die Hand und winke ihn heran. Ich warte darauf, dass er lacht, aber als ich zu ihm rüberschaue, wirkt er ehrlich erschrocken.
»Ich hab vielleicht ein kleines bisschen übertrieben«, sage ich, obwohl das nicht stimmt.
»So habe ich auf dich gewirkt?«
Ich räuspere mich und komme langsam wieder zurück zum Sofa. »Bist du eigentlich der Fußballspieler oder das Mathegenie?«
»Wie bitte?«
»Deine Großmutter gibt mit euch an. Ich frage mich, welcher ihrer Enkelsöhne du bist.«
»Der, der noch so ziemlich nichts auf die Reihe gebracht hat.«
Ich tippe mit meinem Hausschuh gegen das Tischbein. »Du weißt, mit wem du sprichst?«
»Ja doch. Caymen.«
Ich verdrehe die Augen. »Nein, ich meine, ich bin die Königin in Nichts-auf-die-Reihe-bringen. Deswegen bin ich mir sicher, dass du weitaus mehr geschafft hast.«
»Was hast du denn von dem, was du vorhattest, noch nicht geschafft?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich versuche, mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Man kann nur unglücklich werden, wenn man sich Hoffnungen macht, davon bin ich überzeugt.«
»Je weniger du dir also vom Leben erhoffst …«
»Nein. So meine ich das nicht. Ich versuche einfach nur, glücklich zu sein und mir nicht noch zusätzlich etwas vom Leben zu wünschen.« Und darin bin ich tatsächlich immer besser geworden in der letzten Zeit. Wenn man Leute wie Xander um sich hat, wird man bloß daran erinnert, was man alles nicht hat.
Er isst seinen Muffin auf und wirft die Hülle in die Tüte. »Und funktioniert es? Bist du glücklich?«
»Meistens.«
Er hebt seinen Styroporbecher und prostet mir zu. »Das ist es letztendlich doch, worauf es ankommt, oder?«
Ich nicke und lege meinen Fuß auf den Couchtisch. Die Bestellliste in meiner Hosentasche knistert bei der Bewegung. Ich ziehe sie heraus. »Ich sollte mich an die Arbeit machen. Ich muss noch ein paar Sachen erledigen, bevor wir öffnen.«
»Richtig. Na gut, ich muss auch los.« Er zögert einen Moment, als wollte er noch etwas sagen.
Ich stehe auf. Er folgt meinem Beispiel und nimmt seine Jacke. Ich begleite ihn zur Ladentür und öffne sie.
Als er geht, wird mir bewusst, wie wenig uns die Unterhaltung eigentlich weitergebracht hat. Ich weiß nicht mal, wie alt er ist oder in welche Schule er geht oder was er in seiner Freizeit macht. Sind wir diesen Fragen mit Absicht ausgewichen? Vielleicht waren unsere Fragen so bedeutungslos gewesen, weil wir tief in uns drin über den anderen gar nichts wissen wollen?
Er drückt auf einen Knopf an seinem Schlüsselbund und der schicke silberfarbene Sportwagen vor dem Laden gibt einen Ton von sich. Dieses Auto allein beantwortet schon alle Fragen, die ich noch haben könnte. Kein weiterer Bedarf. Er öffnet die Tür und wirft mir dieses Lächeln zu und ich höre mich, wie ich ihm zurufe: »Bist du in der Zwölften?«
Er nickt. »Und du?«
»Auch.« Ich halte meinen Becher hoch. »Danke fürs Frühstück.«
»Kein Problem.«
Ich schließe die Tür und lehne mich dagegen. Warum ausgerechnet er?
Ich brauche mehrere Minuten, um mich von der Tür zu lösen und nach oben zu gehen. Meine Mom ist im Badezimmer, also ziehe ich mir einen Stuhl vor den alten Computer und fange an, online Bestellungen einzugeben.
»War das das Telefon?«, fragt meine Mom, als sie in die Essecke kommt und ihre nassen Haare mit
Weitere Kostenlose Bücher