Blaubeertage (German Edition)
einem Handtuch trocken rubbelt.
»Ja. Ich bin drangegangen.«
»Wer war es denn?«
»Bloß jemand, der gefragt hat, wann wir öffnen.« Und das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich meine Mom anlüge. Wir erzählen uns alles. Ich bin fassungslos. Ich hätte sagen sollen: »Dieser Junge namens Xander – ja, der nennt sich mit Absicht Xander –, der sich seine T-Shirts bügeln lässt und Schmuck trägt.« Wir hätten unseren Spaß gehabt. Meine Mom hätte versucht, so zu tun, als würde sie das auf die Palme bringen. Wir hätten darüber lästern können, dass er wahrscheinlich zweimal im Monat zum Friseur geht. Sie hätte ihre »Am besten geben wir uns gar nicht erst mit solchen Leuten ab«-Predigt gehalten. Ich hätte ihr zugestimmt. Ich stimme ihr zu.
Warum erzähle ich ihr also nicht von ihm?
»Kannst du diese Bestellung zu Ende eingeben, Mom? Wenn ich mich nicht sofort föhne, sind meine Haare trocken und meine Frisur ist total im Eimer.«
»Ja, klar.«
»Danke.«
Ich schließe mich im Badezimmer ein und presse die Hand vor meine Augen. Warum habe ich ihr nicht von ihm erzählt?
Loyalität.
Ich wollte nicht, dass meine Mom ihn unsympathisch findet. Irgendwie hat es dieser Kerl geschafft, aus der Schublade voller Menschen zu klettern, der ich mit fettem Edding das Etikett »Tabu« verpasst habe, und ist zu etwas anderem geworden. Und jetzt, sehr zu meinem Ärger, fühle ich mich Xander Spence gegenüber irgendwie verpflichtet.
Das muss sich auf der Stelle ändern.
10.
A m Montagmorgen winke ich meiner Mom zum Abschied und trete aus der Ladentür. Auf dem Weg Richtung Schule fällt mir ein Sportwagen auf, der genau wie Xanders aussieht und ein paar Häuser weiter geparkt ist. Ich beuge mich hinunter, um hineinzusehen, und als ich mich wieder aufrichte, steht Xander mir gegenüber. Ich zucke zusammen. Er reicht mir einen Becher mit heißer Schokolade und trinkt einen Schluck aus seinem.
Ich schaue auf den Becher – der gleiche wie gestern. »Ich trinke den nur, wenn du zuerst daraus getrunken hast«, sage ich und verkneife mir ein »Was machst du hier?«. Denn das könnte den Eindruck erwecken, dass es mir nicht egal ist.
Er nimmt den Becher aus meiner Hand, trinkt einen Schluck und gibt ihn mir dann zurück.
Ich bin so verblüfft, dass er meine ironische Aufforderung in die Tat umgesetzt hat, dass ich nicht anders kann und lachen muss. »Ich glaube, bei Luigis trifft sich am Donnerstagabend immer eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die süchtig nach Eddies Muffins sind. Wenn das nicht hilft, gibt’s Tabletten dagegen, hab ich gehört.«
»Ich fürchte, ich bin noch nicht bereit, meine Sucht schon aufzugeben«, sagt er.
Ich schaue ihn von der Seite an. Die Rede war immer noch von Muffins, oder? »Tut mir leid, das zu hören.«
»Wer ist eigentlich mit der nächsten Frage dran?«, erkundigt er sich.
»Ich«, sage ich, auch wenn ich mich nicht wirklich erinnern kann. Aber der Fragepart ist mir lieber als Antworten zu geben.
»Okay, was willst du wissen?«
»Hast du Brüder?« Von seiner Grandma weiß ich ja schon, dass sie nur eine Enkeltochter hat und er hat von einer Cousine gesprochen.
»Ja, ich habe zwei große Brüder. Samuel ist dreiundzwanzig und hat gerade seinen Abschluss in Jura gemacht.«
»Welche Uni?«
»Harvard.«
War ja klar.
»Lucas, mein anderer Bruder, ist zwanzig und geht aufs College.«
»Die Namen sind ja ziemlich normal.«
»Normal?«
»Keine Chets oder Wellingtons oder so was in der Richtung.«
Er zieht eine Augenbraue hoch. »Kennst du irgendeinen Wellington?«
»Natürlich nicht, aber du wahrscheinlich.«
»Nein, tatsächlich kenne ich keinen.«
»Hmm«, sage ich.
»Okay, ich bin dran.«
Ich lächele, bin aber eigentlich ziemlich nervös. Am liebsten würde ich bestimmen, welche Fragen er stellt. Dann könnte ich all denen aus dem Weg gehen, die ich nicht beantworten möchte.
»Trägst du Kontaktlinsen?«
»Wie bitte? Ist das deine Frage?«
»Ja.«
»Nein, tue ich nicht. Warum?«
»Ich hab bloß noch nie so grüne Augen wie deine gesehen, ich habe überlegt, ob es vielleicht farbige Kontaktlinsen sind.«
Ich drehe meinen Kopf zur Seite, sodass er nicht mitbekommt, wie ich lächele. Heimlich verfluche ich ihn, dass er mir das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein. »Trägst du welche?«
»Natürlich trage ich keine Kontaktlinsen. Glaubst du, ich hab mir dieses langweilige Braun mit Absicht ausgesucht?«
»Die goldenen Sprenkel lassen sie
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