Blaue Wunder
sich die Bettdecke überzuwerfen oder sich zumindest die Hände vor üblicherweise bedeckte Körper- stellen zu halten. Ich war zutiefst verblüfft von so viel Ungezwungenheit. Und das auch noch gegenüber einer Frau!
Ich weiß doch von etlichen Saunabesuchen mit Petra, um wie viel kritischer Frauen Frauen betrachten als Männer. Jede Bindegewebsschwäche wird zufrieden zur Kenntnis genommen, jede Hängebrust freundlich begrüßt. Für mich persönlich ist der Aufenthalt im Dampfbad erst dann eine wirklich rundum entspannende Erfahrung, sobald eine den Raum betritt, die dicker ist als ich.
Männer hingegen, so mein Eindruck, haben dem weiblichen Körper gegenüber eine großzügigere Haltung. Es scheint, als würden die sich grundsätzlich erst mal über jede Brust und jeden Hintern herzlich freuen. Ja, die männliche Toleranz den weiblichen Problemzonen gegenüber geht sogar so weit, dass die meisten auch mit Dellen an den Oberschenkeln recht gut leben können. Vielleicht, weil sie Orangenhaut für gottgegeben halten und nicht wissen, dass man durchaus mit konsequent fettarmer Ernährung, Ausdauersport und regelmäßigen Zupf- und Bürstenmassagen gegensteuern kann.
Die Männer, mit denen ich geschlafen habe, fanden mich immer wesentlich ansehnlicher als ich mich selber. Und selbstverständlich hätte ich jeden, der sich beschwert hätte, sofort aus meinem Bett geschmissen. Es ist eine Todsünde, als Mann mit einer Frau einer Meinung zu sein, was ihren Körper angeht. Nichts ist schlimmer als einer, der auch nur ansatzweise nickt, wenn man ihn fragt, ob er größere Brüste bevorzuge. Und wenn ein Mann auf die theoretische Frage: «Findest du meine Schenkel nicht etwas zu üppig?» ehrlich antwortet: «Na ja, wenn du mich so direkt darauf ansprichst.», braucht er sich nicht zu wundern, wenn es sexuell nicht mehr richtig gut läuft.
Im Grunde zeichnet sich ein sensibler Partner und zufrieden stellender Liebhaber doch dadurch aus, dass er unablässig daran arbeitet, das Selbstbewusstsein der Geliebten wieder aufzubauen, welches sie selbst torpediert hat durch stundenlange Betrachtung des eigenen Körpers vor einem Spiegel in einer brutal ausgeleuchteten Umkleidekabine und das anschließende Durchblättern der amerikanischen «Vogue».
Der Vorteil an Sex mit Männern statt mit Frauen ist auch, dass kein direkter Vergleich möglich ist. Das wurde mir klar, als ich nicht umhinkonnte, einen Blick auf Tinas imposanten Busen zu werfen. Ich hoffte inständig, dass er nicht echt war. Ich kroch noch etwas tiefer unter die Decke, als ich gewahr wurde, dass Tina genau den Bauch hat, den ich mir immer gewünscht hatte. Wenigstens hatte sie ein recht breites Becken, gebärfreudig hätte ich es unter anderen Umständen genannt, ein Ausdruck, der mir aber im Zusammenhang mit einer überwiegend lesbischen Frau nicht ganz passend schien.
Aber das bisschen zu viel an Becken machte den Braten nun wirklich nicht fett, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Insgesamt gesehen, hatte Tina eine nahezu perfekte Figur. Mit Brüsten, für die ich morden, und Oberarmen, für die ich meine Mutter an zwielichtige Araber verkaufen würde. Ich dachte an meinen eigenen Körper, der da sorgsam versteckt unter der Bettdecke lag, und versuchte, den Gedanken an meine nachlässig rasierten Beine zu verdrängen.
Tina stieg ins Bett und reichte mir ein Glas Wein. Ich nahm dankbar drei große Schluck. Ich musste mich so schnell wie möglich schön trinken.
«Hast du Lust, erst noch ein bisschen Fernsehen zu gucken?», fragte Tina. «Ich weiß, es ist voll peinlich, aber ich bin der allergrößte lebende Fan von Johannes B. Kerner. Immer wenn ich nicht zu Hause bin, nehme ich seine Sendung auf und schaue sie mir vorm Schlafengehen an.»
«Was gefällt dir denn so an dem?»
Ich war so glücklich, dass der Liebesakt erst einmal aufgeschoben war, dass ich mich sogar traute, mich aufrecht hinzusetzen, obschon ich dafür meine Oberarme freilegen musste, die mir im Moment etwas speckig erschienen.
«Der macht so einen absolut zuverlässigen Eindruck. Weißt du, seit mich Marco verlassen hat, nachdem er meine beste Freundin gevö- gelt und mein Konto leer geräumt hatte, habe ich ein komplett anderes Verhältnis zu Männern.»
«Das kann man wohl sagen, schließlich bist du seither lesbisch.» «Eigentlich haben mich Frauen schon immer angemacht. Das habe ich bloß nicht richtig gemerkt, weil ich immer viel zu beschäftigt war, mich mit irgendwelchen
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