Blaue Wunder
bloß mal hören, wie’s dir so geht.»
Und ist das nicht irgendwie herzerweichend rührend? Jahrhundertelang haben sich Frauen beschwert, dass Männer zu wenig reden, sich zu selten melden und nie, selbst im frisch verliebten Zustand, «einfach mal so» anrufen. Und was haben wir davon? Jetzt rufen sie uns wie eingefordert mindestens einmal am Tag «einfach mal so» an, haben aber im Gegensatz zu uns keinen blassen Schimmer, worüber sie dann reden sollen. Sie stellen sich ihren Frauen praktisch freiwillig zum Beplaudern zur Verfügung. Nicht mehr und nicht weniger. Und vielleicht werden im Laufe der Evolution in einigen tausend Jahren die ersten Männer bei uns anrufen, die in der Lage sind, in den Hörer zu sprechen. Aber bei Martin stört mich das alles nicht. Ich liebe ihn, ganz genau so, wie er ist. Selbstverständlich habe ich ihm das noch nicht gesagt. Ich warte lieber, bis er es zuerst sagt. Andererseits: Vielleicht wartet er auch nur darauf, dass ich es sage? Ein Dilemma. Man will den anderen ja auf keinen Fall überfordern, erschrecken oder zugeben, dass man in Sachen Liebe ein Mordstempo draufhat, bei dem der andere nicht mithalten kann. Nichts ist unangenehmer, als auf das erste, mit Herzklopfen gehauchte «Ich liebe dich» die ernüchternde Antwort zu bekommen: «Du, das geht mir alles ein bisschen zu schnell.» Horror! Nur noch dadurch zu toppen, auf die Frage «Willst du mich heiraten?» die Antwort zu bekommen: «Dafür brauche ich etwas Bedenkzeit.» Nein, ich will in dieser Angelegenheit lieber Vorsicht walten lassen. Dabei war ich mir schon nach unserer ersten gemeinsam verbrachten Nacht hundertprozentig sicher. Und das lag nicht an dem anregenden Abend, den wir verbracht hatten, und auch nicht an der gelungenen Beischlaf-Premiere, die sich daran angeschlossen hatte. Guten Sex, so jedenfalls meine Meinung, kann man mit vielen haben. Aber gut einschlafen und gut aufwachen, das kann man nur mit jemandem, bei dem man sich wohl und wie zu Hause fühlt.
Ich kann ja sowieso nur einschlafen, wenn ganz spezielle äußere Bedingungen herrschen. Ich schlafe grundsätzlich nur in Betten. Die Leute, die auf Sesseln, Autorückbänken oder gar Barhockern knacken, sind mir seit jeher so fremd wie die Menschen, die dem Physikunterricht inhaltlich folgen konnten. Ich kann auch nur unter einer Bettdecke schlafen, mit mindestens zwei Kopfkissen, bei geöffnetem Fenster und mit nicht ganz geschlossenen Vorhängen. Das Schlimmste ist es für mich aufzuwachen, und es ist kein Unterschied, ob ich die Augen auf- oder zumache, und ich kann nicht mal vorsichtig nachschauen, neben wem ich da eigentlich vergangene Nacht eingeschlafen bin. Und wenn ich dann noch dazu das Gefühl habe, dass die Luft, die ich gerade einatme, schon mindestens zweimal vorher in meinen Lungen gewesen ist, nehme ich Reißaus, selbst wenn Orlando Bloom neben mir ins Plumeau grunzen würde.
Aber als ich neben Martin aufwachte, stimmte alles: Lichtverhältnisse, Sauerstoffverhältnisse, Herzverhältnisse. Und eigentlich hoffe ich seit diesem Morgen darauf, dass Martin mir endlich sagt, dass er mich genauso und auch schon genauso lange liebt wie ich ihn und dass er nur noch auf einen passenden Zeitpunkt wartet, mir seine überbordenden Gefühle zu gestehen. Aber bloß nicht drängeln, sag ich mir. Dasselbe gilt im Übrigen für die gemeinsame Vergangenheitsbewältigung, auch ein schwieriges Thema in frischen Beziehungen. Natürlich stellt sich irgendwann die Frage, in der Regel wird sie vom weiblichen Teil des Paares aufgeworfen: «Wie viele Frauen hattest du vor mir, und hast du eine davon auch nur annähernd so geliebt wie mich?» Komisch, wie Männer da immer wieder ins Drucksen geraten und sich letztlich gerne auf ein für den europäischen Raum normiertes Standardverhalten zurückziehen: untertreiben und nicht ins Detail gehen. Eine marktübliche Antwort hört sich folgendermaßen an: «Ich hatte mal die eine oder andere bedeutungslose kurze Affäre und zwei, drei längere Beziehungen, an die ich komischerweise gar keine genauen Erinnerungen mehr habe. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir keine einzige dieser Frauen so viel bedeutet hat wie du.»
Mit diesen Sätzen kann man nichts falsch und nichts richtig machen. Der Ärger, der darauf folgt, hält sich in Grenzen und ist mit Sicherheit kleiner, als wenn man seine Partnerin mit der Wahrheit konfrontiert hätte, die in etwa so lauten könnte: «Ich hatte in meiner Studienzeit mit so
Weitere Kostenlose Bücher