Blaue Wunder
einem brachliegenden, unscheinbaren Stück Texas. Ich bin bestimmt der glücklichste Mensch der Welt. Und auch Erdal hat gesagt, dass ich von innen heraus strahle und dass verliebte Frauen sich im Grunde die belebende, regenerierende, feuchtigkeitspendende wöchentliche Gesichtsmaske sparen können. Er selbst ist zurzeit übrigens auch verliebt, in einen Typen namens Karsten, laut Erdal natürlich einer der schönsten Männer, die auf diesem Erdball herumspazieren.
Bei Erdal macht sich das Verliebtsein dadurch bemerkbar, dass er nicht ganz so viel über seine Wehwehchen spricht wie sonst. Das ist recht entspannend, denn wenn Erdal über Schmerzen klagt, muss man wachsam und therapeutisch reagieren. Man sollte ihn tunlichst nicht auslachen und einen durchgedrehten Hypochonder nennen. Dann wird er erst wütend, dann traurig, und schließlich hält er sich für so schlimm geisteskrank, dass er erwägt, sich einen Vormund zu erwählen und für immer in ein Sanatorium einweisen zu lassen. «Um die Menschheit nicht länger zu belasten und zu gefährden», wie er einmal mit brechender Stimme zu mir sagte.
Genauso schlimm ist es aber, Erdals Beschwerden zu ernst zu nehmen. Ich beging in den ersten Tagen unserer Wohngemeinschaft den Fehler, ihm von meiner Oma zu erzählen. Erdal hatte beim Frühstück über ein Ziehen im Unterbauch geklagt, und da hatte ich beiläufig erwähnt, dass sich bei meiner Omi so ein harmloses Ziehen als üble Darmverschlingung entpuppt hatte, die in einer Notoperation entwirrt werden musste. Konnte ich ahnen, dass Erdal daraufhin sämtliche Termine des Tages absagen würde, um sich viereinhalb Stunden mit stetig stärker werdenden Bauchkrämpfen ins Wartezimmer des Hamburger Innereienspezialisten Dr. Naumann zu setzen?
In den schillerndsten Farben erzählte Erdal mir am Abend von seinen unsäglichen Schmerzen und Ängsten, von den Halbtoten, mit denen er zusammen warten musste, und von der Frau, die neben ihm saß mit Darmblubbern, so laut, dass Erdal sich vorkam, als würde er in einem Whirlpool sitzen.
Mit seiner Diagnose rückte Erdal aber nur unwillig raus. Nachdem Blutgase, Ultraschall und Tastuntersuchungen ausgewertet worden waren, bat der Spezialist Erdal schließlich wieder in sein Sprechzimmer und schaute so betroffen drein, dass Erdal sich auf das Schlimmste gefasst machte.
«Elli, um nicht viele Worte zu machen: Ich habe dem Tod ins Auge geblickt!», wollte Erdal seine Erzählung dramatisch beenden. «Aber was hast du denn nun?» «Wollen wir uns vielleicht ein paar Nudeln kochen?» «Erdal, bitte, jetzt sag schon, was ist es denn?» Erdal druckste noch eine Weile herum, um schließlich zuzugeben, dass Dr. Naumann ihn irgendwann gefragt hatte, was er am Abend zuvor zu sich genommen habe, und schließlich die um kurz nach Mitternacht hastig verzehrte Tüte Cheese & Onion Chips für Erdals Beschwerden verantwortlich machte: «Herr Küppers, Sie haben ein paar verklemmte Winde im Darm oder, um es ganz klar zu sagen: Ihnen sitzt ein Furz quer.»
Erdal fand die Diagnose renitenter Pups überhaupt nicht komisch und wandelte sie in kürzester Zeit so um, dass er schon nach wenigen Tagen seinen Freunden in meinem Beisein von einer besonders ausgeprägten Lebensmittelunverträglichkeit zu berichten wusste, die ihn beinahe dahingerafft hätte. Aber jetzt, im frisch verliebten Zustand, geht es Erdal besser denn je, und beim Frühstück unterhalten wir uns endlich nicht mehr über Gesundheitsprobleme, sondern zum Beispiel darüber, wie schön Hamburg eigentlich auch bei schlechtem Wetter ist. Woran ich merke, dass ich über alle Maßen verliebt bin? Mich stört nichts. Und sonst stört mich eigentlich immer was. Es hat noch keinen Mann gegeben, bei dem ich nicht von Anfang an gewusst hätte, was mich irgendwann später einmal zur Raserei bringen würde. Zu Anfang findest du es vielleicht noch niedlich, dass er sein Auto mehr liebt als sein Leben. Aber im Grunde deines Herzens weißt du, dass du ihn in ein paar Jahren dafür verachten wirst, dass er die Batterie seines hoch empfindlichen Polos in besonders kalten Winternächten ausbaut und in eurem Kl ei der schrank lagert, liebevoll eingewickelt in deine hoch empfindliche Tagesdecke.
O ja, ich weiß, wovon ich spreche. Gregor war auch so ein Autonarr, und im Grunde genommen hätte ich schon vor unserem ersten Date die Reißleine ziehen müssen. Gregor hatte sich gerade ein neues Auto zugelegt, keine Ahnung, was für eines, aber jedenfalls
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