Blauer Montag
per Magnet an der Kühlschranktür befestigt war. Mit ihrer steifen Pose, ihrer altmodischen Kleidung und den dunklen Augen sahen die drei aus, als gehörten sie in eine ganz andere Welt. »Ich wollte sowieso erst mit dir reden. Ich brauche deinen Rat.«
»Seltsam, dass du den ausgerechnet jetzt brauchst, wo ich als Ratgeber nicht gerade in Bestform bin.«
»Es ist etwas passiert.«
Während Frieda zu erzählen begann, verspeiste Reuben sein Omelett gleich direkt aus der Bratpfanne. Hin und wieder schüttelte er Tabascosoße darüber oder griff nach seinem Glas, um einen Schluck Wasser zu trinken. Nach einer Weile aber hörte er zu essen auf, legte seine Gabel beiseite und schob die Pfanne von sich weg. Während des gesamten Rests der Geschichte verhielt er sich mucksmäuschenstill, auch wenn Frieda in den kurzen Pausen das Gefühl hatte, oben ein Bett ächzen zu hören.
»So«, sagte sie, als sie fertig war. »Wie denkst du darüber?«
Reuben stand auf. Er ging zu seiner neu eingebauten Terrassentür und blickte auf den matschigen, ungepflegten Garten hinaus. In der Dunkelheit waren nur die von Schnee und Nässe niedergedrückten Formen der Büsche und ein paar kahle Bäume auszumachen und dahinter die beleuchteten Fenster einer anderen Küche. Das Ächzen im oberen Stockwerk schien aufgehört zu haben. Reuben drehte sich um.
»Du hast eine Grenze überschritten«, meinte er grinsend. Aus unerfindlichen Gründen schien ihn das sehr heiter zu stimmen.
»Nicht nur eine, sondern gleich mehrere.«
»Also, ich denke folgendermaßen darüber: Erstens solltest du zur Polizei gehen. Was das betrifft, lasse ich kein Nein gelten.« Er zählte die Punkte an den Fingern ab: »Zweitens solltest du Alan alles sagen, was du über ihn weißt, und drittens solltest du mit diesem Experten aus Cambridge sprechen. Die
Reihenfolge ist mir egal, Hauptsache, du machst das alles möglichst schnell.«
»Ja, gut.«
»Ach – und viertens, melde dich selbst zu einer Therapiesitzung an. Ich war ja schließlich nicht dein einziger Tutor. Hast du noch zu jemandem aus der alten Riege Kontakt?«
»Da fällt mir nur eine Tutorin ein, die ich recht gern mochte, aber die habe ich als Betreuerin schon vor Jahren auf Eis gelegt.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, sie wieder aufzutauen. Jedenfalls solltest du dich wegen der Sache nicht so quälen. Das passt nicht zu dir.«
Frieda erhob sich. »Eigentlich wollte ich Josef fragen, ob er mich nach Cambridge fährt, aber es ist wohl kein besonders guter Zeitpunkt, ihn darum zu bitten.«
»Ich glaube, die sind schon fertig.« Reuben ging hinaus in die Diele und rief durchs Treppenhaus nach oben: »Josef! Hast du mal eine Minute?«
Oben war eine gedämpfte Antwort zu hören, und kurz darauf kam Josef barfuß die Treppe herunter. Als er Frieda entdeckte, schaute er leicht betreten drein.
Frieda ging durch den Regent’s Park zurück, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Der kalte Nordwind fühlte sich gut an, als würde er ihre Gedanken ersticken. Nachdem sie die Euston Road überquert hatte, machte sie einen kurzen Abstecher in einen Laden und kaufte sich eine Packung Nudeln, ein Glas Soße, einen Beutel Salat und eine Flasche Rotwein. Zu Hause angekommen, suchte sie gerade nach ihrem Schlüssel, als sie plötzlich erschrocken zusammenzuckte, weil jemand sie an der Schulter berührte.
»Alan«, stieß sie hervor, »was, zum Teufel, machen Sie hier?«
»Es tut mir leid. Ich muss unbedingt mit Ihnen reden. Ich konnte nicht warten.«
Frieda blickte sich hilflos um. Sie kam sich vor wie ein wildes Tier, das ein Jäger bis zu seinem Bau zurückverfolgt hatte. »Sie kennen die Regeln«, sagte sie, »wir müssen uns daran halten.«
»Ich weiß, ich weiß, aber …«
Sein Ton klang flehend. Sein Dufflecoat war falsch zugeknöpft, sein Haar zerzaust. Sein Gesicht wirkte von der Kälte fleckig. Frieda hielt inzwischen ihren Schlüssel in der Hand und brauchte ihn nur noch ins Schloss zu stecken. Sie hatte viele Regeln, aber die wichtigste – diejenige, die sie auf keinen Fall verletzen wollte –, besagte, nie einen Patienten in ihr Haus zu lassen. Es war der Wunschtraum eines jeden Patienten, sich Zutritt zu ihrem Leben zu verschaffen und herauszufinden, wie sie wirklich war – um sie dadurch irgendwie zu fassen zu kriegen und bei ihr das Gleiche zu versuchen, was sie bei ihren Patienten versuchte: hinter ihre Geheimnisse zu kommen. Andererseits hatte sie bereits so viele
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