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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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plötzliches lautes Lachen. »Alle anderen tun das doch auch.«
     
    Frieda saß an ihrem kleinen Schachtisch und spielte eine Partie aus ihrem Buch berühmter Spiele nach, Beliawski gegen Nunn aus dem Jahr 1985. Bedächtig ließ sie ihre Figuren, die an der Unterseite mit Filz überzogen waren, auf dem Brett vorrücken. Im Kamin flackerte ein Feuer. Die Uhr tickte vor sich hin, die Minuten vergingen. Ein Bauer nach dem anderen fiel, während die Königin weiter vorrückte. Frieda musste an Dean und Alan denken, an ihre dunkelbraunen Augen. Sie versuchte sich Matthews sommersprossiges, fröhliches Gesicht vorzustellen, und dann das von Joanna, mit ihrer Zahnlücke und dem ängstlichen Lächeln. Sie versuchte, sich nicht vorzustellen, wie die beiden mit schriller, angsterfüllter Stimme nach ihren Müttern riefen – in der Hoffnung, sie könnten kommen und sie retten. Frieda schien, als fiele ihr Gehirn zwischen die Ritzen des Schachbretts. Irgendetwas hatte sie übersehen, irgendeinen winzigen, verborgenen Schlüssel zu dem unlösbar scheinenden Rätsel. Egal, welche Gräuel dadurch ans Tageslicht kämen, alles wäre besser als dieser Zustand der Unklarheit. Sie rief
sich ins Gedächtnis, wie Matthews Eltern bei der Pressekonferenz ausgesehen hatten – von Angst und Schrecken gezeichnet. Was mochten sie empfinden, wenn sie Nacht für Nacht schlaflos im Bett lagen und sich vorstellten, wie ihr Sohn nach ihnen rief? Wie hatten sich die Eltern von Joanna gefühlt, als schließlich Monate und dann Jahre ins Land zogen und sie nie Gewissheit bekamen – und auch kein Grab, auf das sie Blumen hätten legen können?
    Um Mitternacht klingelte das Telefon.
    »Haben Sie schon geschlafen?«, fragte Karlsson.
    »Ja«, log Frieda, die gerade einen Läufer vom Brett genommen hatte und ihn nun abwartend in der Hand hielt.
    »Ich besuche morgen früh Mrs. Reeve in einem Altersheim in Beckton. Möchten Sie mitkommen?«
    »Sie lebt also noch. Ja, natürlich komme ich mit.«
    »Gut. Ich schicke Ihnen einen Wagen vorbei.«
     
    Als Schülerin war Frieda mal in Beckton gewesen, um das Gaswerk zu besichtigen. Es war ihr damals vorgekommen wie eine riesige Ruine in der Wüste. Sie hatte sogar noch das Foto, das sie an dem Tag gemacht hatte. Inzwischen war das alles verschwunden. Nur ein grasbewachsener Schlackehügel erinnerte noch daran, wo es einmal gestanden hatte. Offenbar hatte man alles Alte und Befremdliche abgerissen, und an ihre Stelle waren nun Reihenhäuser aus den Achtzigern, Wohnblöcke, Einkaufszentren und kleine Gewerbegebiete getreten.
    Beim River View Nursing Home – dessen Name höchst irreführend war – handelte es sich um ein großes modernes Gebäude aus nackten orangeroten Ziegeln. Der ganze Komplex war einstöckig und um einen Innenhof herumgebaut. In der Mitte befand sich eine kleine Rasenfläche mit etlichen kahlen Stellen. Bäume oder Büsche gab es keine. Die metallgerahmten Fenster waren mit Gittern versehen. Frieda fand, dass das Ganze an eine Kaserne erinnerte. In der überheizten Eingangshalle
standen jede Menge Rollstühle, Gehhilfen und Gehstöcke herum. Die Dekoration beschränkte sich auf einen großen Krug mit Plastikblumen. Es roch, als würde gerade irgendwo Porridge gekocht, wobei zusätzlich auch der Kiefernnadelduft irgendeines Raumsprays in der Luft hing. Frieda hörte das leise Gedudel eines Radios, aber ansonsten war es sehr ruhig. Umso lauter hallten nun ihr Schritte durch den Eingangsbereich. Vielleicht lagen die meisten Bewohner noch im Bett. Im Aufenthaltsraum befanden sich nur zwei Personen. Bei der einen handelte es sich um einen sehr dünnen Mann mit glänzender Glatze und einer Brille, deren runde Gläser das Licht reflektierten, bei der anderen um eine dicke Frau, die in einen zeltähnlichen orangeroten Umhang gehüllt war. Ihr Hals steckte in einer Halskrause, ihre Füße in überdimensionalen Plüschhausschuhen. Auf den Tischen lagen jede Menge Puzzleteile herum.
    »Hier geht es zu Mrs. Reeve«, erklärte die Frau, die sie in Empfang genommen hatte. Sie trug ihr graues Haar zu festen, gleichmäßigen Locken gewickelt und wackelte beim Gehen mit dem Hintern. Außerdem fiel Frieda auf, dass sie ausgesprochen muskulöse Waden und Unterarme besaß und sich ihre Mundwinkel selbst dann nach unten zogen, wenn sie lächelte. Ihr Name war Daisy, aber sie sah nicht aus wie eine Daisy.
    »Ich sollte Sie vielleicht darauf vorbereiten«, erklärte sie, bevor sie die Zimmertür aufschob,

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