Blauer Montag
ab. Was konnte sie nur tun? Sie versuchte vergeblich, Josef auf seinem Handy zu erreichen. Als sie daraufhin bei Reuben anrief,
erfuhr sie lediglich, dass Josef noch nicht zurück sei. Sie ließ sich ein heißes Bad einlaufen und legte sich hinein, wobei sie die meiste Zeit den Kopf unter Wasser hielt und erfolglos versuchte, nicht nachzudenken. Frustriert stieg sie wieder aus der Wanne und schlüpfte in eine Jeans und ein altes Shirt. Sie hatte definitiv ein paar Dinge zu erledigen. Beispielsweise galt es, so etwas wie Weihnachtspläne zu schmieden. Das verdrängte sie nun schon seit Wochen, aber irgendetwas musste sie schließlich machen. Außerdem musste sie mit ein paar Patienten Ersatztermine für die abgesagten Sitzungen vereinbaren. In der momentanen Situation aber erschien es ihr völlig unmöglich, auch nur einen einzigen Gedanken an so etwas zu verschwenden.
Sie kochte sich eine ganze Kanne Kaffee und trank eine Tasse nach der anderen. Auf einmal kam sie sich vor wie das Versuchskaninchen in einem psychologischen Experiment, das demonstrieren sollte, wie schnell ein Mangel an Kontrolle und Autonomie zu heftigen, fast schon lähmenden Angstsymptomen führen konnte. Draußen war es bereits stockdunkel, als es gegen sechs an ihrer Haustür klingelte. Es war Karlsson.
»Bringen Sie gute Nachrichten?«
Karlsson schob sich an ihr vorbei. »Sie wollen wissen, ob wir ihn gefunden haben? Nein, haben wir nicht.« Er griff nach Friedas halb voller Kaffeetasse und nippte daran. »Der ist ja kalt«, stellte er fest.
»Ich kann Ihnen frischen kochen.«
»Machen Sie sich keine Umstände.«
»Ich hätte mitkommen sollen.«
»Wozu?«, fragte Karlsson in sarkastischem Ton. »Um einen
Blick in den Schrank zu werfen, den wir übersehen haben?«
»Ich hätte gern Dean Reeves Reaktion gesehen.«
»Er wirkte ziemlich selbstsicher, falls Sie das meinen. Wie ein Mensch, der nichts zu verbergen hat.«
»Außerdem war ich vorher schon einmal in dem Haus. Ich
hätte Ihnen sagen können, ob die beiden seitdem etwas verändert haben.«
»Bedauerlicherweise gestattet uns so ein Durchsuchungsbeschluss nicht, Touristen mitzunehmen.«
»Moment«, sagte Frieda.
Sie schenkte den restlichen Kaffee aus der Kanne in eine frische Tasse und stellte sie kurz in die Mikrowelle, ehe sie sie Karlsson reichte. »Möchten Sie etwas dazu?«, fragte sie. »Oder hinein?«
Er schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck.
»Dann hat sich das also auch erledigt«, bemerkte Frieda.
»Dieses Phantombild von kürzlich… die Rekonstruktion des Frauengesichts…«, begann Karlsson.
»Was ist damit?«
»Haben Sie den Ausdruck noch?«
»Ja.«
Sie schwiegen beide einen Moment.
»Ich wollte nicht nur wissen, ob Sie ihn noch haben. Wären Sie vielleicht so freundlich, ihn zu holen, damit ich ihn mir noch einmal ansehen kann?«
Wortlos verließ Frieda den Raum und kehrte mit dem zerknüllten Ausdruck zurück. Sie legte ihn auf den Tisch und strich das Blatt einigermaßen glatt. »Da konnte sich jemand nicht beherrschen«, bemerkte sie.
Karlsson beugte sich darüber und betrachtete das Gesicht.
»Während die Kollegen das Haus auf den Kopf gestellt haben, bin ich durchs Schlafzimmer gewandert und dabei auf das hier gestoßen.« Er zog ein kleines gerahmtes Foto aus der Seitentasche seiner Jacke und legte es neben den Ausdruck. »Erinnert Sie das an was?«
32
E s ist dieselbe Frau«, sagte Frieda.
»Zumindest sieht sie ihr ähnlich.« Karlsson rieb sich heftig mit der Hand übers Gesicht.
»Ja, meinen Sie?«
»Natürlich.«
Er betrachtete sie mit grimmiger Miene.
»Das ist die Frau, an die Rose sich erinnert hat«, erklärte Frieda.
»Rose hat sich nicht erinnert. Man hat sie per Multiple Choice durch eine Bilderserie gelotst, die am Ende auf dieses Gesicht hier reduziert wurde. Das ist nicht dasselbe wie sich erinnern.«
»Aber es ist trotzdem die Frau. Natürlich ist sie es. Fällt Ihnen dazu eine andere Erklärung ein?«
»Es bedarf keiner gottverdammten Erklärung! Durch eine Abfolge von vorgegebenen Bildern wurde einer gestörten jungen Frau ein Gesicht suggeriert, das sie unter Umständen vor zwanzig Jahren mal gesehen hat, das aber genauso gut auch ein Produkt ihrer Fantasie sein könnte. Und zufällig ähnelt dieses Gesicht ein wenig einem Frauenfoto aus dem Haus eines Mannes, der gerade ansatzweise verdächtigt wird, ein anderes Verbrechen begangen zu haben. Was glauben Sie, wie das vor Gericht ankäme?«
Frieda gab ihm keine
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