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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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hatte ewig wach gelegen, ihrem Empfinden nach die ganze Nacht, Stunde für Stunde. Normalerweise hätte sie sich in einem solchen Fall angezogen und wäre zu einem Spaziergang durch die leeren Straßen aufgebrochen, aber stattdessen war sie liegen geblieben und in Gedanken noch einmal durchgegangen, was Karlsson zu ihr gesagt hatte. Er lag damit gar nicht so falsch. Sie hatte Träume und Bruchstücke von Erinnerungen ans Tageslicht gezerrt, oder Bilder, die etwas von Erinnerungen hatten, Ähnlichkeiten. Denn genau das war ihr Beruf, das Material, mit dem sie arbeitete: Dinge, die in den
Köpfen der Leute abliefen und sie glücklich, unglücklich oder ängstlich machten; Verbindungen, die jeder für sich selbst zwischen verschiedenen Ereignissen knüpfte, um auf diese Weise einen Weg durch Chaos und Angst zu finden.
    Nun aber gab es da noch etwas anderes. Irgendwo dort draußen war Matthew. Oder Matthews Leiche. Vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich, war er bereits innerhalb einer Stunde nach seiner Entführung ermordet worden. So lauteten die Statistiken. Aber was, wenn er noch lebte? Frieda zwang sich, den Gedanken weiterzudenken, als müsste sie sich dazu überwinden, in die Sonne zu starren, egal, wie weh es tat. Was hatte jener andere Detective, Tanner, wohl all die Jahre empfunden? Hatte er ab irgendeinem Zeitpunkt vielleicht sogar gehofft, eine Leiche zu finden? Nur, um Gewissheit zu haben? Es klingelte. Demnach kam Alan also doch noch. Frieda betätigte den Türöffner.
    Als sie ihm die Tür aufmachte, spazierte er ganz lässig herein und ließ sich in seinen üblichen Sessel sinken. Frieda nahm ihm gegenüber Platz.
    »Tut mir leid«, sagte er, »meine U-Bahn stand zwanzig Minuten in einem Tunnel. Ich konnte nichts machen.«
    Dann zappelte er eine Weile nervös in seinem Sessel herum, ohne etwas zu sagen. Erst rieb er sich die Augen, dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Frieda war das schon gewöhnt. Außerdem fand sie es wichtig, ihm seine Phasen des Schweigens zuzugestehen und die Pausen auf keinen Fall mit ihrem eigenen Geplapper zu füllen, wie frustrierend das für sie selbst auch sein mochte. Schweigen konnte durchaus auch eine Form der Kommunikation sein. Sie hatte schon Patienten gehabt, die ihr zehn oder gar zwanzig Minuten wortlos gegenübersaßen, ehe sie das erste Wort herausbrachten. Frieda erinnerte sich sogar an ein Problem aus ihrer Ausbildungszeit: Wenn ein Patient einschlief, sollte sie ihn dann aufwecken? Nein, lautete die entschiedene Antwort ihrer damaligen Tutorin. Während einer Therapiesitzung zu schlafen sei auch schon
eine Art von Aussage. Frieda hatte das nie so ganz akzeptieren können. Falls es tatsächlich eine Art von Kommunikation war, dann eine sehr teure und unproduktive. Sie hatte immer gefunden, ein sanftes Anstupsen sei kein richtiger Verstoß gegen die Regeln, die man hinsichtlich der Beziehung zwischen Patient und Therapeut beachten musste. Während Alan weiter schwieg, ging ihr durch den Kopf, dass so ein sanftes Stupsen vielleicht auch in seinem Fall angebracht wäre.
    »Wenn ein Mensch nicht sprechen möchte«, erklärte sie, »dann liegt das manchmal daran, dass es zu viel zu besprechen gibt und man nicht recht weiß, wo man anfangen soll.«
    »Ich bin nur müde«, erwiderte Alan. »Ich schlafe immer so schlecht, und meine gelegentlichen Abstecher in die Arbeit fallen mir auch noch sehr schwer.«
    Es folgte eine weitere Pause. Frieda war verblüfft. Spielte er irgendwelche Spielchen mit ihr? War sein Schweigen als eine Art Strafe gedacht? Hinzu kam eine gewisse Enttäuschung: Statt die Gelegenheit zu nutzen und gemeinsam mit ihr zu erforschen, wie sich seine neue Situation auf sein Persönlichkeitsempfinden auswirkte, setzte er einfach Scheuklappen auf. Dafür war nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.
    »Ist das der wahre Grund?«, fragte sie. »Sollen wir weiter so tun, als wäre es nie passiert?«
    »Was?«
    »Mir ist klar, dass Ihnen das, was Sie da erfahren haben, noch lange zu schaffen machen wird«, fuhr sie fort. »Vermutlich kommt es Ihnen vor, als wäre Ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt worden.«
    »So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, entgegnete er mit leicht erstaunter Miene. »Aber woher wissen Sie überhaupt davon? Hat Carrie Sie angerufen? Hat sie sich hinter meinem Rücken mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
    »Carrie?«, fragte Frieda. »Ich glaube, wir reden gerade irgendwie aneinander vorbei. Worum geht es

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