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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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er aufgehört, krampfhaft über Verstecke nachzudenken. Konnte es sein, dass er …?
    Frieda ließ den Finger einmal um den Standort von Dean Reeves Haus kreisen und arbeitete sich dann spiralförmig nach außen vor, bis sie plötzlich an einer bestimmten Stelle verharrte. Sie schnappte sich Mantel und Schal und rannte aus dem Haus. Es war noch dunkel. Um diese Zeit waren die Nebenstraßen menschenleer. Nur ihre eigenen Schritte hallten nach. Erst als sie die Euston Road erreichte, wo der Verkehr auch nachts nie ganz einschlief, entdeckte sie ein Taxi, das sie herbeiwinken konnte. Während der Wagen losbrauste, ging sie im Geist noch einmal alles durch. Hätte sie die Polizei anrufen sollen? Was hätte sie sagen können? Sie musste an Karlsson und seine Leute denken, die von Tür zu Tür zogen und Aussagen aufnahmen. Der Fluss war bereits von Tauchern abgesucht worden. Die Polizei brauchte endlich etwas Handfestes, ein Stück Stoff oder auch nur eine Faser oder einen Fingerabdruck, doch alles, was Frieda bisher zu bieten gehabt hatte, waren Erinnerungen, Fantasien und Träume, die zum Teil übereinzustimmen schienen. Aber sah sie womöglich nur imaginäre Muster, ähnlich wie Kinder in den Wolken Formen und Gestalten zu erkennen glaubten? Es hatte so viele Rückschläge gegeben. Würde auch diese nächtliche Fahrt in einer Sackgasse enden?
    »Wo soll ich Sie denn rauslassen?«, fragte die Fahrerin. Eine Frau am Steuer eines Londoner Taxis. Das war ungewöhnlich.
    »Gibt es einen Haupteingang?«
    »Es ist sowieso nur der eine offen«, antwortete die Frau. »Zwar befindet sich an der Rückseite noch ein zweiter Eingang, aber der ist abgeschlossen.«
    »Dann nehme ich den an der Vorderseite.«
    »Wobei ich mir selbst da nicht sicher bin, ob Sie um diese Zeit schon reinkommen. Normalerweise ist von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geöffnet.«

    »Die Sonne geht gerade auf. Schauen Sie.«
    Es war kurz vor acht – und Weihnachten.
    Ein paar Minuten später hielt das Taxi. Frieda bezahlte und stieg aus. Auf einem verzierten viktorianischen Schild stand: »Chesney Hall Cemetery«. Alan hatte gesagt, er wünsche sich ein Familiengrab, wo er sich ins Gras legen und mit seinen Vorfahren sprechen könne. Der arme Alan. Er hatte kein solches Grab, das er besuchen konnte – zumindest keines, von dem er wusste. Aber vielleicht Dean Reeve? Das große Friedhofstor war geschlossen, doch daneben gab es eine kleine Pforte für Fußgänger. Frieda ging hinein und blickte sich um. Der Friedhof war riesig wie eine Stadt. Es gab unzählige, wie Alleen angelegte Reihen von Grabsteinen, viele mit Figuren, bröckelnden Säulen oder Kreuzen versehen. Hier und dort ragte zwischen den normalen Gräbern ein Mausoleum auf. Linker Hand entdeckte sie einen Bereich, der so überwuchert war, dass die Gräber fast unter dem ganzen Grünzeug verschwanden. Frieda blickte sich suchend um. In der kalten Luft bildete ihr Atem kleine Wölkchen.
    Ein Stück weiter vorne erkannte sie eine schlichte Holzhütte, die an der Hauptallee lag. Die Tür stand offen, und durchs Fenster sah man Licht. Führten Friedhöfe so etwas wie Register? Während sie sich in Bewegung setzte, glitt ihr Blick über die Gräber auf beiden Seiten. Eines erregte ihre Aufmerksamkeit. Das Grab der Familie Brainbridge. Emily, Nicholas, Thomas und William Brainbridge waren in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts gestorben, alle vier noch keine zehn Jahre alt. Ihre Mutter, Edith, war 1883 gestorben. Wie hatte sie es geschafft, alleine weiterzuleben, während ihre toten Kinder in die Vergangenheit entschwanden? Vielleicht hatte sie noch andere Kinder gehabt, um die sie sich kümmern musste – Kinder, die als Erwachsene fortgezogen waren und nun anderswo begraben lagen.
    Irgendein Rascheln veranlasste Frieda dazu, sich umzudrehen.
Durch den Zaun sah sie eine Gestalt, anfangs nur undeutlich, weil sie in Bewegung war, doch als sie dann am Eingang auftauchte, erkannte Frieda sie. Ihre Blicke trafen sich: Frieda starrte Terry Reeve an, und Terry Reeve starrte Frieda an. Dabei lag in ihrem Blick eine Intensität, die Frieda bei ihr bis dahin nicht erlebt hatte. Frieda rannte den Weg zurück, den sie gerade gekommen war, doch als sie schließlich durch die kleine Pforte hinausstürmte, war von Terry nichts mehr zu sehen. Verzweifelt blickte Frieda sich um. Erneut machte sie kehrt und lief die Hauptallee entlang, bis sie die Holzhütte erreichte. Hinter einem provisorischen

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