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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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nicht sagen, wie lange sie so in der bitteren Kälte kniete, nachdem ihr klar geworden war, dass sie verloren hatte. Doch als sie schließlich den Kopf hob, um sich wieder auf die Beine zu kämpfen, entdeckte sie es – ein hohes steinernes Mausoleum, das hinter einem Gestrüpp aus Dornbüschen und Nesseln kaum zu erkennen war. Während sie darauf zustürmte, spürte sie, wie die dornigen Ranken an ihr rissen. Ihre Füße sanken in den matschigen Boden ein, und der Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht, sodass sie kaum etwas sehen konnte. Trotzdem sah sie genug, um zu wissen, dass erst vor Kurzem jemand hier gewesen war. Die Dornbüsche und Nesseln waren
zu einer Art schmalem Pfad niedergetrampelt. Als sie den Eingang erreichte, musste sie feststellen, dass er mit einem schweren steinernen Tor verschlossen war, doch an den Furchen im nassen Boden konnte man deutlich erkennen, dass jemand dieses Tor vor nicht allzu langer Zeit zur Seite geschoben hatte.
    »Matthew!«, schrie sie dem kahlen, verwitterten Stein entgegen. »Gib nicht auf! Halt durch! Wir sind gleich bei dir. Halt durch!«
    Dann begann sie mit den Fingern an dem Stein zu rütteln. Verzweifelt versuchte sie, irgendwo Halt zu finden, und lauschte gleichzeitig angestrengt, um vielleicht etwas zu hören, das darauf hinwies, dass er dort drin war, und noch am Leben.
    Die Steintür gab ein wenig nach. Einen Spalt weit stand sie schon offen. Sie zerrte mit aller Kraft daran. Jenseits des Hügels leuchtete Licht auf, und dann hörte sie auch schon mehrere Wagen, die zum Stehen kamen. Stimmen wurden laut, und eine ganze Schar von Leuten rannte auf sie zu. Unter ihnen entdeckte sie Karlsson. Beim Anblick seiner Miene fragte sie sich, ob sie wohl auch so aussah.
    Dann waren sie bei ihr – eine Armee aus Polizeibeamten, die den Stein wegziehen und mit ihren Taschenlampen in die feuchte Dunkelheit hineinleuchten konnten, ehe sie hineinkrochen.
    Frieda trat zurück. Eine schreckliche Ruhe senkte sich über sie.
     
    Er konnte sein Herz nicht mehr hören. Das machte nichts. Es hatte zu wehgetan, als es noch wie wild schlug. Der Blechmann hatte unrecht. Richtig atmen konnte er auch nicht mehr. Die Luft kam nur in ganz kleinen Stößen und füllte ihn nicht aus. Das Feuer war weg, und das Eis auch. Sogar der harte Boden war nun nicht mehr hart, weil sein Körper nur noch wie eine Feder auf dem Untergrund zitterte und bald vom Wind hochgehoben und davongetragen werden würde.

    O nein. Bitte nicht. Nein. Er wollte die lauten Geräusche nicht hören, und er wollte auch nicht, dass ihm das weiße Licht die Augen zerriss. Er wollte das alles nicht: die starrenden Gesichter, die Hände, die nach ihm griffen, den Wirrwarr der Stimmen und die ruckartigen Bewegungen. Er war zu müde für eine Fortsetzung der Geschichte. Er hatte geglaubt, die Geschichte wäre endlich vorbei.
    Dann sah er plötzlich die Tänzerin, die Frau mit den Schneeflocken im Haar. Sie schrie nicht herum, und sie lief auch nicht wie die anderen hektisch hin und her. Sie stand einfach nur ganz still auf der anderen Seite der Welt, um sie herum lauter Grabsteine. Sie sah ihn an. Ihr Gesicht war besser als jedes Lächeln. Er hatte sie gerettet, und nun hatte sie ihn gerettet. Sie beugte sich über ihn. Ihre Lippen berührten seine Wange. Der böse Zauber war gebrochen.

42
    F rieda stand neben dem Bett. Der kleine Körper war noch immer so zusammengerollt, wie sie ihn gefunden hatten. Zu dem Zeitpunkt war er halb entkleidet gewesen, denn in seinem Todesdelirium hatte sich der Junge die Kleidung – unter anderem ein kariertes Hemd von der Sorte, wie beide Zwillinge sie bevorzugten – vom Leib gerissen und sich nahezu nackt auf den kalten Erdboden des Mausoleums gelegt. Nun war er auf eine Warmwassermatratze gebettet und mit mehreren leichten Stoffschichten zugedeckt. Seine Brust war im Herzbereich mit Monitoren verkabelt. Sein ehemals so rundes, eher rötliches Gesicht, das auf den Fotos, die Frieda von ihm kannte, so fröhlich dreingeblickt hatte, war so weiß, dass es ihr fast schon grünstichig erschien. Seine Sommersprossen leuchteten daraus hervor wie rostige kleine Münzen. Die Lippen wirkten völlig blutleer. Eine Wange sah blau und geschwollen aus. Seine Hände waren beide bandagiert, weil er sich an den Steinwänden des Mausoleums die Finger aufgerissen hatte. Friedas Blick wanderte zu seinem stümperhaft gefärbten schwarzen Haar, an dessen Scheitel schon wieder ein Streifen Rot hervorlugte.

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