Blauer Montag
verwirrt an, verneinte aber nicht. Frieda beugte sich dicht über Matthews Gesicht, um in möglichst leisem Ton mit ihm zu sprechen. »Keine Angst«, sagte sie, »du bist wieder daheim. Du bist gerettet.« Sie registrierte ein leichtes Flackern in seinen Augen. »Hier bist du in Sicherheit. Du bist aus dem Hexenhaus entkommen.«
Er stieß einen Laut aus, den sie aber nicht verstand.
»Wer war dort bei dir?«, fragte sie. »Wer war mit dir im Hexenhaus?«
Plötzlich klappten seine Augen auf wie die einer Puppe.
»Frau Naseweis«, stieß er hervor. »Die neugierige Schnüffelnase.«
Frieda kam es vor, als wäre plötzlich Dean im Raum – als wäre er ein Bauchredner und Matthew seine Puppe, durch die er sprach.
»Wo ist sie?«, fragte sie. »Wo haben sie sie hingebracht, die neugierige Frau Naseweis?«
»Weggebracht«, antwortete er. »In der Nacht.«
Dann begann er zu schluchzen, und sein Körper bäumte sich auf wie von einem Krampf geschüttelt. Erschrocken schlang Mrs. Faraday die Arme um ihren zuckenden, röchelnden Sohn und drückte ihn fest an ihre Brust.
»Keine Angst«, sagte Frieda in beruhigendem Ton.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Munster.
»Das klingt nicht gut. Gar nicht gut.«
Frieda richtete sich auf und ging durch das Wartezimmer auf den Gang hinaus, wo sie sich suchend umblickte. Ein Pfleger schob gerade eine alte Frau in einem Rollstuhl vorbei. »Kann ich hier irgendwo ein Mineralwasser bekommen?«, wandte Frieda sich an den Mann.
»Unten am Haupteingang ist ein McDonald’s«, antwortete der Pfleger.
Sie hatte erst ein paar Meter des langen Gangs zurückgelegt, als sie hinter sich jemanden rufen hörte. Es war Munster. Im Laufschritt kam er auf sie zu. »Ich habe gerade einen Anruf bekommen«, erklärte er, »der Chef möchte Sie sehen.«
»Weswegen?«
»Sie haben die Frau gefunden.«
»Kathy?« Vor Erleichterung wurde ihr fast schwindlig.
»Nein, die Ehefrau«, stellte Munster richtig. »Terry Reeve. Unten wartet ein Wagen auf Sie.«
43
Y vette Long musterte Karlsson mit gerunzelter Stirn. »Stimmt etwas nicht?«
»Ihre Krawatte«, antwortete sie. »Sie sitzt schief.« Mit diesen Worten beugte sie sich vor und zog sie zurecht.
»Sie müssen sich den Kameras von Ihrer besten Seite präsentieren«, meinte sie, »schließlich sind Sie ein Held. Polizeipräsident Crawford wird auch da sein. Seine Assistentin hat gerade angerufen. Er ist sehr zufrieden mit Ihnen. Das wird eine richtig große Pressekonferenz. Der Saal, den sie dafür ausgewählt haben, kann bei Bedarf sogar noch erweitert werden.«
Sein Handy, das auf dem Tisch lag, begann zu vibrieren. Seine Exfrau hatte ihm schon mehrfach aufs Band gesprochen, wann er denn vorhabe, seine Kinder wieder abzuholen, und dabei jedes Mal wütender geklungen.
»Die Medien interessiert im Grunde doch nur, dass wir den kleinen Jungen gefunden haben«, erklärte Karlsson. »Wo ist Terry Reeve?«
»Gerade eingetroffen. Sie sitzt unten.«
»Hat sie etwas über Kathy Ripon gesagt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ich möchte, dass zwei Beamte bei ihr bleiben und sie keine Sekunde aus den Augen lassen.«
Er griff nach seinem Handy und tippte eine kurze Nachricht: »Sorry. Melde mich bald.« Dann drückte er auf »Senden«. Vielleicht hörte sie ja die Nachrichten und verstand, warum er keine Zeit hatte. Wobei ihm durchaus klar war, dass das nicht so lief. Anderer Leute Kinder hatten nicht denselben Stellenwert wie die eigenen. Eine Beamtin streckte den Kopf zur
Tür herein und verkündete, Dr. Klein sei eingetroffen. Karlsson bat die Kollegin, sie gleich zu ihm zu schicken. Als Frieda den Raum betrat, nahm er erstaunt das Leuchten in ihren Augen wahr, erkannte darin aber seine eigene überdrehte Euphorie wieder. In diesem Zustand war an Schlaf gar nicht zu denken.
»Wie geht es ihm?«, fragte er.
»Er lebt«, antwortete Frieda. »Seine Eltern sind bei ihm.«
»Ich meine, wird er es schaffen?«
»Woher soll ich das wissen?«, gab Frieda zurück. »Kleine Kinder sind erstaunlich widerstandsfähig. Zumindest steht das so im Lehrbuch.«
»Es ist Ihr Verdienst. Sie haben ihn gefunden.«
»Ich habe den einen gefunden und die andere in den Tod geschickt«, sagte Frieda. »Verzeihen Sie mir, wenn ich keinen Freudentanz aufführe. Wie ich höre, ist Ihnen Terry Reeve ins Netz gegangen.«
»Sie sitzt unten.«
»Draußen musste ich an der Meute vorbei«, berichtete Frieda. »Ich habe schon halb damit gerechnet, ein paar mit Mistgabeln
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