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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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Sie, Sie können mir helfen?«
    Frieda betrachtete ihn: die abgekauten Nägel, das angsterfüllte, mit Sommersprossen gesprenkelte und schlecht rasierte Gesicht, die flehenden Augen. Sie nickte ihm zu. »Ich möchte, dass Sie dreimal die Woche zu mir kommen«, sagte sie, »und dass Sie diese Termine sehr ernst nehmen. Jede Sitzung wird
fünfzig Minuten dauern. Wenn Sie zu spät kommen, höre ich trotzdem zum vereinbarten Zeitpunkt auf. Glauben Sie, Sie schaffen das?«
    »Ich denke schon. Ja.«
    Sie holte ihren Terminplaner aus der Schublade.

9
    S ie standen zusammen auf der Waterloo Bridge. Friedas Blick war nicht auf die Parlamentsgebäude gerichtet und auch nicht auf London Eye oder St. Paul’s. Die glitzernde Masse der Stadt interessierte sie im Moment nicht, ihre ganze Aufmerksamkeit galt den Strömungen des Flusses, die um den Fuß der Brücke wirbelten. Sie hatte fast vergessen, dass Sandy bei ihr war, als er unvermittelt das Wort an sie richtete.
    »Ist dir Sydney nicht lieber?«
    »Sydney?«
    »Oder Berlin?«
    »Nein. Ich fürchte, ich muss jetzt los, Sandy, die Arbeit ruft.«
    »Vielleicht Manhattan.«
    »Man kann nur eine einzige Stadt wirklich lieben. Diese hier ist meine.«
     
    »Ist das Essex?«, fragte Alan mit einem Blick auf das Bild, das in der Praxis an der Wand hing.
    »Nein«, antwortete Frieda.
    »Wo ist das dann?«
    »Keine Ahnung.«
    »Warum haben Sie es aufgehängt?«
    »Ich wollte ein Bild, das nicht zu viel Interesse erregt. Damit die Leute dadurch nicht abgelenkt werden.«
    »Ich mag es lieber, wenn man auf einem Bild etwas sieht, zum Beispiel altmodische Segelschiffe, bei denen man alle Einzelheiten erkennen kann, die Seile und die Segel. Das da entspricht gar nicht meinem Geschmack. Ich finde es zu verschwommen, die Stimmung zu melancholisch.«

    Frieda hätte ihm beinahe zur Antwort gegeben, dass sie ja auch nicht hier waren, um über Bilder zu reden, doch dann überlegte sie es sich anders. »Ist eine melancholische Stimmung denn notwendigerweise etwas Schlechtes?«
    Alan nickte. »Ich verstehe schon«, meinte er. »Sie glauben, dass alles etwas zu bedeuten hat. Sie interpretieren in alles, was ich sage, etwas hinein.«
    »Worüber würden Sie denn gerne reden?«
    Alan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, als müsste er Frieda abwehren. Am Montag hatte er einen ängstlichen und hilfsbedürftigen Eindruck gemacht. Heute wirkte er selbstbewusster, aber auch defensiv. Immerhin war er erschienen. »Sie sind doch die Ärztin. Oder zumindest so eine Art Ärztin. Sagen Sie es mir. Wollen Sie mich nicht dazu bringen, über meine Träume zu sprechen? Oder über meine Kindheit?«
    »Sie haben recht«, pflichtete Frieda ihm bei, »ich bin eine Art Ärztin. Also erklären Sie mir, was Ihnen fehlt. Erklären Sie mir, warum Sie hier sind.«
    »Wenn ich das richtig sehe, bin ich hier, damit ich mich nicht über den anderen Doktor beschwere. Der Kerl ist eine absolute Schande für seinen Beruf. Ich weiß natürlich, dass ihr alle zusammenhaltet. Vielleicht beschwere ich mich trotzdem.«
    Alan wechselte ständig die Position. Gerade noch hatte er die Arme verschränkt, nun fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar, sah Frieda an, wandte den Blick wieder ab.
    »Es gibt Stellen, wo Sie sich beschweren können«, antwortete Frieda, »falls Sie sich dazu entschließen sollten. Aber nicht hier. Dies ist ein Ort, wohin Sie kommen, um über sich selbst zu sprechen, und zwar offen und ehrlich. Sie können hier auf eine Weise sprechen, wie Sie es wahrscheinlich mit keiner anderen Person können, weder mit engen Freunden noch mit Ihrer Frau, noch mit Kollegen. Vielleicht sehen Sie das als Chance.«
    »Mein Problem mit alledem hier ist« – Alan machte eine ausladende Handbewegung –, »dass Sie sich einbilden, Sie könnten
durch bloßes Gerede Probleme lösen. Ich habe mich immer als praktischen, zupackenden Menschen betrachtet. Wenn es ein Problem gibt, halte ich es für das Beste, die Ärmel hochzukrempeln und die Sache in Ordnung zu bringen. Durchs Reden allein geht nichts voran.«
    Friedas Gesichtsausdruck blieb unverändert, doch in ihr machte sich ein vertrautes Gefühl von Müdigkeit breit. Schon wieder diese alte Leier. Oft verlief die erste Sitzung wie ein besonders peinliches erstes Rendezvous. Beim ersten Mal mussten die Leute unbedingt loswerden, dass sie eigentlich gar keine Hilfe brauchten, dass sie überhaupt nicht wüssten, was sie hier täten, und dass es keinen Sinn habe, nur

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