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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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rasch.
    »Nein, natürlich nicht.« Sie stieß ein kleines, unsicheres Lachen aus und hob eine Hand an die Brust. »Das haben Sie ja schon am Telefon gesagt. Es ist nur …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Was hätte sie auch sagen sollen? Es ist nur… so schwer, mit dem Warten aufzuhören? Wie hörte man auf zu warten, zu hoffen und zu bangen?
    Karlsson wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie sehr ihr der Verlust ihrer Tochter auch nach all den Jahren noch zusetzen musste. Die Entdeckung einer kleinen Leiche in einem Graben hätte für sie vermutlich eine Art Erlösung bedeutet. Wenigstens wüsste sie dann Bescheid, und es gäbe ein Grab, auf das sie Blumen legen könnte.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte er, woraufhin sie nickte und einen Schritt zur Seite machte, um ihn eintreten zu lassen.
    Jedes Haus hat seinen eigenen Geruch. Bei Tanner war es ein
leicht modriger, abgestandener Geruch gewesen, als wären die Fenster schon monatelang nicht mehr geöffnet worden – ein Geruch, der sich hinten in der Kehle einnistete, genau wie der Gestank fauligen Blumenwassers. Deborah Teales Haus roch nach Putzmitteln und Möbelpolitur und ein wenig nach Gebratenem. Während sie ihren Gast in das Zimmer führte, das auf die Straße hinausging, entschuldigte sie sich für die nicht vorhandene Unordnung. Überall im Raum sah Karlsson Fotos, aber kein einziges von Joanna.
    »Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.« Er ließ sich in einen Sessel sinken, der zu niedrig für ihn war und sich außerdem als so weich entpuppte, dass er das Gefühl hatte, darin zu versinken.
    »Fragen? Was gibt es da denn noch zu fragen?« Er wusste nicht recht, was er ihr darauf antworten sollte. Allmählich fragte er sich selbst, warum er überhaupt gekommen war. Um noch einmal kurz in eine Tragödie einzutauchen, die mit ziemlicher Sicherheit nichts mit Matthew Faraday zu tun hatte? Er betrachtete die Frau, die ihm gegenübersaß, ihr schmales Gesicht und ihre zarten Schultern. Er hatte in der Akte nachgesehen, sie musste inzwischen sechsundfünfzig sein. Manche Menschen – wie zum Beispiel der neue Lebensgefährte seiner Exfrau – wurden mit den Jahren immer breiter, verfestigten sich sozusagen zu einer behäbigeren Version ihrer ursprünglichen jugendlichen Figur. Deborah Teale dagegen sah aus, als hätte der Druck des Lebens im Lauf der Jahre ihre Weichheit und Jugend weggeschliffen.
    »Ich habe mir den Fall noch einmal angesehen.«
    »Warum?«
    »Weil wir ihn nie aufklären konnten«, antwortete er. Das war keine Lüge, aber auch nicht die ganze Wahrheit.
    »Joanna ist tot«, sagte Deborah Teale. »Natürlich stelle ich mir immer noch manchmal vor, sie könnte irgendwo dort draußen sein, aber im Grunde weiß ich, dass sie tot ist, und Sie
wissen es bestimmt auch. Wahrscheinlich ist sie schon an dem Tag gestorben, als wir sie verloren haben. Warum müssen Sie noch einmal in den alten Wunden herumstochern? Wenn Sie ihre Leiche finden, dann lassen Sie es mich wissen. Ihren Mörder finden Sie jetzt doch sowieso nicht mehr, oder?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Vermutlich müssen Sie hin und wieder mal die ungelösten Fälle durchgehen, weil irgendeine bürokratische Vorschrift das von Ihnen verlangt. Aber ich habe alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ich habe es unzählige Male wiederholt, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, verrückt zu werden. Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren ?«
    »Nein, vermutlich nicht.«
    »Das ist doch schon mal was«, sagte sie. »Wenigstens behaupten Sie nicht, Sie wüssten genau, wie es mir geht.«
    »Sie haben Joanna als ängstliches kleines Mädchen beschrieben.«
    »Ja.« Deborah Teale runzelte die Stirn.
    »Und sie wusste, dass sie Fremden nicht vertrauen durfte?«
    »Natürlich.«
    »Trotzdem ist sie mitten am Nachmittag auf einer belebten Straße spurlos verschwunden.«
    »Ja. Auf einmal war sie weg. Als hätten wir sie nur geträumt.«
    Oder als hätte sie ihrem Entführer vertraut, dachte Karlsson.
    »Irgendwann muss man sich klarmachen, dass es vorbei ist. Verstehen sie? Anders geht es nicht. Ich habe bemerkt, wie Sie vorhin beim Hereinkommen die Fotos betrachtet haben. Ich kann mir denken, was Ihnen dabei durch den Kopf gegangen ist: dass keine Aufnahmen von Joanna darunter sind. Sie finden das wahrscheinlich ein bisschen seltsam.«
    »Nein, ganz und gar nicht«, entgegnete Karlsson wahrheitsgemäß. Nach seiner Erfahrung war Verdrängung in

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