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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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von der Straße sehen. Sie war nicht wie die Straße, in der er gewohnt hatte, als er noch Matthew war. Alles war kaputt,
alles war leer. Alle waren davongelaufen, weil sie wussten, dass schlimme Sachen passieren würden.
     
    »Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Verstehen Sie denn nicht? Ich kann nicht mehr unterscheiden, was ich selbst weiß und was man mir seitdem alles erzählt hat. Oder was ich erfunden habe, um mich zu trösten. Oder was ich geträumt habe. In meinem Kopf ist das alles durcheinandergeraten. Es hat keinen Sinn, mich danach zu fragen. Ich kann Ihnen nicht helfen. Es tut mir leid.«
    Aus ihrer Miene sprach Bedauern.
    Karlsson hatte Fotos von Rosie Teale gesehen, auf denen sie noch ein Kind war. Nun saß sie ihm als Einunddreißigjährige gegenüber. Es war seltsam, sozusagen im Schnelldurchlauf zu erleben, wie aus einem Mädchen eine Frau wurde. Ihr dunkles Haar war streng zurückgebunden, ihr schmales, dreieckiges Gesicht völlig ungeschminkt. Die dunklen Augen wirkten zu groß für ihr Gesicht, die Lippen bleich und ein wenig aufgesprungen. Ihre knochigen, unberingten Hände waren im Schoß verschränkt. Sie wirkte zugleich jünger und älter, als sie war. Und leicht unterernährt, ging Karlsson durch den Kopf. »Ich weiß. Sie waren damals ja erst neun. Trotzdem frage ich mich, ob Ihnen seit Ihrem letzten Gespräch mit der Polizei noch irgendetwas eingefallen ist. Ganz egal, was, und sei es nur eine Kleinigkeit. Etwas, das Sie gesehen oder gehört haben, oder – keine Ahnung – vielleicht auch nur gerochen oder gespürt. Was auch immer. Erst war Ihre Schwester noch da, und plötzlich war sie weg. In diesen paar Sekunden muss doch irgendetwas passiert sein.«
    »Ich weiß. Und manchmal kommt es mir vor …« Sie sprach nicht weiter.
    »Was?«
    »Es kommt mir so vor, als wüsste ich tatsächlich etwas. Etwas, dessen ich mir aber nicht bewusst bin – falls das für Sie nicht sehr blöd klingt.«

    »Nein, gar nicht.«
    »Aber es nützt nichts. Ich weiß nicht, was es ist, und je mehr ich mich bemühe, es zu fassen zu bekommen, desto mehr entschlüpft es mir. Wahrscheinlich bilde ich es mir sowieso nur ein. Ich versuche, etwas zu finden, das nie da war, nur weil ich mir so verzweifelt wünsche, es zu finden. Oder es war irgendwann tatsächlich da, ist aber inzwischen längst verschütt gegangen. Meine Erinnerung kommt mir vor wie einer Ihrer Tatorte: Erst konnte ich diesen Tatort beim besten Willen nicht besichtigen, allein schon die Vorstellung war mir unerträglich, und als ich schließlich dazu in der Lage war, bin ich so viele Male mit schlammigen Stiefeln darüber hinweggetrampelt, dass nun nichts mehr davon übrig ist.«
    »Melden Sie sich bei mir, wenn Ihnen doch noch etwas einfällt?«
    »Natürlich.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Hat es etwas mit dem kleinen vermissten Jungen zu tun, Matthew Faraday?«
    »Warum fragen Sie mich das?«
    »Warum sonst säßen Sie jetzt hier, nach all den Jahren?«
    Karlsson hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, ihr etwas zu sagen. »Sie waren damals erst neun. Kein Mensch, der ganz bei Trost ist, würde Ihnen die Schuld daran geben.«
    Sie lächelte ihn an. »Dann bin ich wohl nicht ganz bei Trost.«

18
    K arlsson war bereits schlechter Laune, als Yvette Long in sein Büro kam und ihn darüber informierte, dass eine Frau ihn sprechen wolle. Nervös studierte sie die Miene ihres Chefs.
    »Wie geht es Faraday?«, erkundigte er sich.
    »Nicht gut. Kieferbruch, mehrere Rippenbrüche. Sie müssen in etwa einer halben Stunde eine Erklärung an die Medien abgeben. Die Presseleute warten schon.«
    »Die sind doch schuld!«, ereiferte sich Karlsson. »Sie haben das Ganze schließlich angezettelt. Wie dämlich kann man eigentlich sein? Kein Wunder, dass sie jetzt geschockt sind. Irgendwelche Anhaltspunkte, wer es war?«
    »Nichts.«
    »Wie geht es seiner Frau?«
    »Das können Sie sich ja denken.«
    »Wer kümmert sich um sie?«
    »Zwei Beamtinnen von der Opferhilfe. Ich fahre später auch noch hin.«
    »Gut.«
    »Außerdem möchte Sie der Polizeipräsident sehen, sobald Sie Ihre Erklärung abgegeben haben.«
    »Nicht gut.«
    »Tut mir leid.« Yvette Long überlegte einen Moment, ob sie ihm eine Hand auf die Schulter legen solle. Er wirkte so müde.
    »Wissen Sie, mit wem ich gerade gesprochen habe?«, riss er sie aus ihren Gedanken.
    »Nein.«
    »Brian Munro.« Yvette sah ihn fragend an. »Er kümmert sich

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