Blauer Montag
»Sie meinen, damit es im Protokoll steht? Damit die Verantwortung nicht mehr bei Ihnen, sondern bei mir liegt, falls etwas schieflaufen sollte?«
»Weil ich es für richtig hielt.« Frieda stand auf und griff nach ihrem Mantel. »Ich dachte mir schon, dass es nichts zu bedeuten hat. Ich wollte nur sichergehen.«
Karlsson stand auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um sie hinauszubegleiten. Er hatte das Gefühl, zu grob mit ihr umgesprungen zu sein. Nach dem schlimmen Vormittag hatte er seinen Frust an einer Frau ausgelassen, die nur zu helfen versuchte. Wenn auch ohne Erfolg. »Sie müssen es mal aus meiner Warte betrachten«, erklärte er. »Ich kann doch nicht losziehen und Leute verhören, nur weil irgendjemand seltsame Träume hat. Mir ist klar, dass Sie sich auf diesem Gebiet besser auskennen als ich, aber letztendlich träumen doch viele Leute solches Zeug, und es hat nie etwas zu bedeuten.«
Nun war es an ihr, einen scharfen Ton anzuschlagen. »Ich brauche mir von einem Detective wirklich keine Vorträge über die Bedeutung von Träumen anhören. Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.«
»Ich wollte damit doch nur sagen …«
»Keine Sorge«, fiel Frieda ihm ins Wort, »ich verschwende nicht länger Ihre Zeit.« Sie schlüpfte in ihren Mantel. »Das war nicht nur irgendein kleiner Traum, der ihn schon seit Jahren quält, wie das bei den meisten Angstträumen der Fall ist. Er hatte diesen Traum schon einmal vor langer Zeit, als er noch ein junger Mann war, und nun hatte er ihn plötzlich wieder.«
Karlsson war schon fast im Begriff, sich zu verabschieden und sie zur Tür hinauszuschieben, als er abrupt innehielt. »Was meinen Sie mit ›wieder‹?«, fragte er.
»Sie interessieren sich bestimmt nicht für die Einzelheiten«, entgegnete Frieda, »aber damals bezog sich sein Kinderwunsch
definitiv auf eine Tochter und nun auf einen Sohn. Eine seiner Sorgen war, dass dieses Umschwenken eine sexuelle Ursache haben könnte.«
»Dieses Umschwenken?« Habe ich das jetzt richtig verstanden? Er hatte den Traum schon einmal? Und zwar vor langer Zeit?«
»Spielt das eine Rolle?«
Karlsson schwieg einen Moment.
»Ich bin nur neugierig«, sagte er schließlich. »Aus Gründen, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Wie alt war er damals?«
»Er hat mir erzählt, er sei dem Teenageralter gerade erst entwachsen gewesen. Zwanzig oder einundzwanzig, schätze ich. Es passierte, lange bevor er seine Frau kennenlernte. Dann hörten die Träume plötzlich auf.«
»Ziehen Sie Ihren Mantel wieder aus«, befahl Karlsson. »Setzen Sie sich. Ich meine, bitte. Bitte setzen Sie sich.«
Mit leicht misstrauischer Miene legte Frieda ihren Mantel über denselben Stuhl wie zuvor und nahm wieder Platz. »Ich verstehe nicht so recht…«, begann sie.
»Wie alt ist Ihr Patient? Dreiundvierzig?«
»Zweiundvierzig, glaube ich.«
»Das mit seinem früheren Traum war demnach vor zweiundzwanzig Jahren?«
»So in etwa.«
Karlsson hockte sich auf die Schreibtischkante. »Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Vor zweiundzwanzig Jahren träumte er von einem kleinen Mädchen. Davon, ein kleines Mädchen zu entführen. Dann ist lange Zeit Ruhe. Und jetzt träumte er auf einmal davon, sich einen kleinen Jungen zu schnappen.«
»Genau.«
Plötzlich kniff Karlsson misstrauisch die Augen zusammen. »Sie verarschen mich aber nicht, oder? Sie haben mit niemandem
über den Fall gesprochen und auch nicht selbst recherchiert?«
»Wovon sprechen Sie?«
»Sie sind nicht von irgendeiner Zeitung auf mich angesetzt?«
»Wie bitte?«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass Journalisten hier auftauchen und sich als Zeugen ausgeben, um herauszufinden, was wir wissen. Falls Sie mich hereinlegen wollen, sollten Sie sich bewusst machen, dass Sie mit rechtlichen Schritten zu rechnen haben.«
»Gerade wollte ich noch meinen Mantel nehmen und gehen, und jetzt drohen Sie mir mit rechtlichen Schritten?«
»Sie verfügen nicht über Informationen, die über das Verschwinden von Matthew Faraday hinausgehen?«
»Ich komme nicht so oft zum Zeitunglesen. Ich weiß kaum etwas über den Faraday-Fall. Ist das ein Problem?«
Karlsson rieb sich das Gesicht, als wäre er gerade erst aufgewacht. »Es gibt in der Tat ein Problem«, antwortete er. »Das Problem ist, dass ich nicht mehr weiß, was ich denken soll.« Er murmelte noch etwas, das Frieda nicht verstand. Für sie klang es fast, als würde er mit sich selbst reden. Mit diesem Eindruck lag
Weitere Kostenlose Bücher