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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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an den Fingern abzuzählen. »Erstens. Ich behandle sowohl Privat- als auch Kassenpatienten. Ich bekomme Überweisungen aus der Warehouse-Klinik, wo ich meine praktische Ausbildung absolviert und jahrelang gearbeitet habe, außerdem von Hausärzten und Krankenhäusern. Darüber hinaus nehme ich auch Leute, die aus eigenem Antrieb zu mir kommen, weil jemand aus ihrem Bekanntenkreis mich ihnen empfohlen hat. Es ist mir wichtig, nicht nur Leute anzunehmen, die reich genug sind, um sich die Therapie leisten zu können. Ansonsten hätte ich das Gefühl, mich nur um die Psyche der Reichen zu kümmern. Wenn man die Therapie privat bezahlen muss, kommt sie ziemlich teuer.«
    »Wie teuer?«
    »Ich habe da so eine Daumenregel. Ich verlange zwei Pfund für jeden Tausender, den die Leute verdienen. Wenn Sie also dreißigtausend verdienen, müssten Sie mir sechzig Pfund pro Sitzung geben. Ich hatte mal einen Klienten, der zu mir gesagt hat, nach dieser Regel müsste er mir fünfhunderttausend pro Stunde zahlen. Sein Glück war, dass ich bei hundert Pfund die Grenze ziehe. Ich bin bekannt dafür, dass ich schon Leute für ’nen Appel und ein Ei behandelt habe, auch wenn meine Kollegen das gar nicht gerne sehen. Über den Daumen gepeilt würde ich sagen, dass sich der Anteil meiner Kassenpatienten auf rund siebzig Prozent beläuft, vielleicht auch etwas weniger.
    Zweitens. Für gewöhnlich kommen meine Patienten dreimal die Woche, und ich habe in der Regel sieben Patienten – also insgesamt etwa zwanzig Sitzungen pro Woche. Ich kenne Therapeuten, die jeden Tag acht Sitzungen im Terminkalender stehen
haben – also vierzig pro Woche. Wenn der eine Patient geht, kommt schon der nächste. Das macht diese Kollegen zwar reich, aber ich könnte das nicht. Ich würde es auch gar nicht wollen.«
    »Warum nicht?«
    »Ich muss das Gehörte erst einmal verdauen, über jeden Patienten, der zu mir kommt, intensiv nachdenken und den Therapieprozess ausführlich dokumentieren. Außerdem reicht mir, was ich momentan verdiene. Mehr Geld benötige ich nicht. Aber ich brauche Zeit. Wie lautete noch mal der nächste Punkt?«
    »Was sind das für Leute?«
    »Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Zu mir kommen ganz unterschiedliche Menschen, die im Grunde nicht viel gemeinsam haben.«
    »Abgesehen davon, dass sie am Ende sind.«
    »Letztendlich sind doch die meisten von uns irgendwann im Leben mal völlig am Ende: so unglücklich, dass wir es kaum noch ertragen können, oder so funktionsgestört, dass es für unser Umfeld nicht mehr akzeptabel ist. Oder einfach nur festgefahren.« Sie musterte ihn mit ihrem stechenden Blick. »Sehen Sie das anders?«
    »Schwer zu sagen.« Karlsson runzelte verlegen die Stirn. »Weisen Sie auch mal jemanden ab?«
    »Nur wenn ich der festen Überzeugung bin, dass die betreffende Person keine Therapie braucht, oder wenn ich den Eindruck habe, dass sie bei jemand anderem besser aufgehoben wäre. Ich nehme ausschließlich Patienten an, von denen ich glaube, dass ich ihnen helfen kann.«
    »Was hat Sie dazu bewogen, Therapeutin zu werden?« Das war die Frage, die ihn wirklich interessierte, auch wenn er wenig Hoffnung hatte, von ihr eine Antwort zu erhalten. Obwohl sie nun schon eine ganze Weile gemütlich beisammensaßen, hatte er nicht das Gefühl, sie deswegen viel besser zu kennen oder mehr Ahnung von ihren Schwächen oder Selbstzweifeln
zu haben. Sein Eindruck war, dass sie niemanden an sich heranließ. Schon bei ihrer ersten Begegnung war ihm aufgefallen, wie gut sie sich unter Kontrolle hatte. Allem Anschein nach war diese Selbstbeherrschung bei ihr mehr oder weniger ein Dauerzustand.
    »Das sind mir ein bisschen zu viele Fragen für einen Abend. Was waren denn Ihre Beweggründe?«
    »Meine Beweggründe?«
    »Was hat Sie dazu bewogen, zur Polizei zu gehen?«
    Karlsson zuckte mit den Achseln und starrte dann in seinen Whisky. »Das weiß der Teufel. Kürzlich habe ich mich mal gefragt, warum ich nicht Anwalt geworden bin, wie ich eigentlich sollte. Dann würde ich wenigstens anständig Geld verdienen und nachts vielleicht besser schlafen.«
    »Und? Warum sind Sie nicht Anwalt geworden?«
    »Ich habe darauf keine Antwort. Als Detective arbeite ich zu viel, werde schlecht bezahlt, ersticke in Papierkram und finde nur Beachtung, wenn etwas schiefläuft. Ich werde nicht nur von der Presse, sondern auch von meinem eigenen Boss niedergemacht, und die Öffentlichkeit misstraut mir. Seit ich bei der Kripo die

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