Blauer Montag
wirklich du?«, fragte sie schließlich.
Die Füße in den lila Socken zuckten, und langsam schlängelte sich der Körper unter der Spüle hervor, bis schließlich auch der Kopf zum Vorschein kam. »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, erklärte Reuben.
»Du bist in flagranti erwischt worden. Do it yourself? Noch dazu an einem Sonntagnachmittag! Demnächst wirst du auch noch dein Auto selber waschen.«
Er richtete sich auf und zog sein Hemd zurecht. »Das ist kein richtiges DIY. Zumindest nicht im engeren Sinn. Du kennst mich doch: Auf mich allein gestellt, bin ich nicht mal in der Lage, eine Glühbirne auszuwechseln. Ich helfe bloß Josef.«
»Das hoffe ich. Ihn am Wochenende arbeiten zu lassen! Zahlst du ihm wenigstens den doppelten Lohn?«
»Ich zahle ihm gar nichts.«
»Wie bitte?«
»Reuben ist mein Vermieter«, meldete sich Josef zu Wort. »Er gibt mir ein Dach über dem Kopf und dafür …«
»Repariert er es«, ergänzte Reuben, während er leicht schwankend aufstand. Lachend wandten sich beide Männer Frieda zu, um zu sehen, wie sie reagierte. Offenbar hatten sie diesen kleinen Witz vorab geprobt.
»Sie sind hier eingezogen?«
Josef deutete auf den Kühlschrank. Frieda entdeckte ein Foto mit Eselsohr, das per Magnet an der Tür befestigt war: eine dunkelhaarige Frau auf einem Stuhl, flankiert von zwei in steifer Haltung posierenden Jungen. »Meine Frau, meine Söhne.«
Frieda sah Josef an. Eine Hand an sein Herz gepresst, wartete er auf ihren Kommentar.
»Sie sind ein Glückspilz«, sagte sie.
Woraufhin er eine Zigarettenschachtel aus der Hemdtasche zog und sie erst Reuben hinhielt, ehe er sich selbst eine herausnahm. Reuben holte sein Feuerzeug hervor und zündete beide an. Befremdet sah Frieda ihnen zu. Zwischen den zwei Männern herrschte irgendeine Art stillschweigendes Einvernehmen, als würden sie sich insgeheim über Frieda lustig machen. Als wären sie zwei ungezogene Lausbuben und Frieda die strenge Erwachsene.
»Tee, Frieda?«, fragte Reuben.
»Ja, bitte. Wobei ihr mir ruhig etwas von dem Wodka anbieten könntet, den ihr da unter dem Spülbecken versteckt habt.«
Die beiden Männer schauten sich an.
»Du bist hier, um mich auszuspionieren«, stellte Reuben fest. »Um herauszufinden, ob ich wieder einsatzfähig bin.«
»Und? Bist du?«
»Mein Niedergang ist quasi der Tod deiner Vaterfigur«, verkündete Reuben theatralisch, »also genau das, was du dir schon so lange wünschst.«
»Was ich mir wünsche, ist, dass die Vaterfigur erst wieder zur Arbeit erscheint, wenn sie wirklich so weit ist, und nicht vorher.«
»Heute ist Sonntag. Ich kann mich am Sonntag betrinken
und trotzdem am Montag zur Arbeit gehen. Ich kann mich sogar am Montagmorgen betrinken und dann zur Arbeit gehen, wenn mir danach ist. Du bist nicht mein Aufpasser.«
»Ich mache uns mal Tee«, meinte Josef verlegen.
»Ich will keinen Tee!«, herrschte Reuben ihn an. »Die Engländer meinen immer, Tee wäre ein Allheilmittel.«
»Ich bin aber kein Engländer«, gab Josef zu bedenken.
»Es war keineswegs mein Herzenswunsch herzukommen«, erklärte Frieda.
»Warum bist du dann gekommen? Weil man es dir befohlen hat? Bist du geschickt worden? Von der eifrigen jungen Paz? Das klingt gar nicht nach der Frieda Klein, die ich kenne. Meine Frieda Klein tut, was sie will.« Er ließ seine Zigarette auf den Boden fallen und trat sie aus. Josef beugte sich hinunter, hob die Kippe auf und trug sie zum Mülleimer.
»Dein Privatleben ist deine Sache, Reuben. Du kannst meinetwegen den ganzen Tag Wodka trinken und dein Haus zumüllen, wenn du meinst. Aber du bist Arzt. Es ist deine Aufgabe, Menschen zu heilen. Manche von den Leuten, die in die Klinik kommen, sind sehr verletzlich, sehr instabil, und sie vertrauen uns. Wir lassen dich erst wieder arbeiten, wenn wir uns darauf verlassen können, dass du deine Macht nicht missbrauchst. Und es ist mir völlig egal, wie wütend du auf mich bist.«
»Ich bin sogar sehr wütend.«
»In Wirklichkeit tust du dir nur selber leid. Ingrid hat dich verlassen, und nun hast du auch noch das Gefühl, von deinen Kollegen schlecht behandelt worden zu sein. Aber Ingrid hat dich verlassen, weil du ihr über Jahre hinweg mit wechselnden Geliebten untreu warst, und deine Kollegen haben lediglich auf die einzig mögliche Art auf dein Verhalten in der Klinik reagiert. Deswegen bist du so wütend. Weil du genau weißt, dass du im Unrecht bist.«
Reuben öffnete den Mund, um etwas zu
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