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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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Ihnen ja schon erzählt, dass ich mich immer als unsichtbar empfunden habe. Die meisten Leute nehmen mich kaum wahr, und wenn doch, dann nur, weil sie mich mit jemand anderem verwechseln. Als mir die Sache mit dieser Frau passiert ist, war wohl ein klitzekleiner Teil von mir versucht, mit ihr mitzugehen und in die Rolle des Mannes zu schlüpfen, mit dem sie mich verwechselt hat. Es klang ganz danach, als hätte er mehr Spaß als ich.«

    »Was wollen Sie jetzt von mir hören?«
    »Hinterher war ich ganz durcheinander, und dann schoss mir plötzlich durch den Kopf: Das ist genau die Sorte Geschichte, die Dr. Klein eigentlich von mir hören möchte. Ich glaube, das meiste von dem, was ich Ihnen bisher erzählt habe, war ziemlich langweilig. Dieses Erlebnis aber fand ich richtig schräg. Fast schon ein bisschen unheimlich. Deswegen dachte ich mir, es könnte genau das Richtige für Sie sein.«
    Über diese Bemerkung musste Frieda gegen ihren Willen lächeln. »Sie glauben, ich interessiere mich für schräge, unheimliche Dinge?«
    Er ließ den Kopf in die Hände sinken. Zwischen seinen Fingern hindurch sagte er: »Früher war alles so einfach. Jetzt ist auf einmal gar nichts mehr einfach. Ich weiß nicht mal mehr, wer ich eigentlich bin. Oder was real ist und was sich nur in meinem Kopf abspielt.«

26
    W ofür hältst du das?«, fragte Frieda.
    Jack zog eine Grimasse. »Eine klassische Fantasie«, antwortete er.
    Sie saßen in der Nummer 9, ihrem neuen Stammplatz für Jacks Tutorengespräche, die inzwischen häufiger stattfanden und wesentlich weniger steif verliefen. Mittlerweile waren Frieda und er sogar zum Du übergegangen. Jack schlürfte gerade seinen zweiten Cappuccino. Er fühlte sich in dem Café sehr wohl. Kerry scharwenzelte ständig um ihn herum, wobei sie ihn halb bemutterte und halb mit ihm flirtete. Hin und wieder kam auch Marcus aus der Küche und bestand darauf, dass Jack seine neueste Kreation probierte (an diesem Tag eine Bakewell-Torte mit Orangenmarmelade, von der Jack brav ein Stück aß, obwohl er eigentlich weder Mandeln noch Orangenmarmelade besonders mochte), und gelegentlich sauste Katya herbei und setzte sich auf Friedas Schoß. Jack hatte den Verdacht, dass Katya Frieda auf die gleiche Art mochte, wie Katzen Menschen mögen, die ihretwegen kein großes Theater veranstalten. Die meiste Zeit ignorierte Frieda sie nämlich. Manchmal hob sie die Kleine nach einer Weile wieder von ihrem Schoß und stellte sie einfach auf den Boden.
    »Inwiefern?«
    »Viele Männer träumen doch von so etwas: Eine sexuell aufreizende Frau taucht auf, reißt einen aus seinem langweiligen Alltagstrott und beschert einem ein wildes, aufregendes Leben.«
    »Wofür steht diese Frau?«
    »Möglicherweise für dich.« Jack nahm einen hastigen Schluck von seinem Kaffee.

    »Mich? Eine vollbusige Sexbombe mit einer Jacke in Knallorange, engem Minirock und rotblondem Haar?«
    Jack bekam einen roten Kopf und blickte sich im Café um, weil er befürchtete, jemand könnte ihren Wortwechsel mitbekommen haben. »Vielleicht handelt es sich um eine sexuell aufgeladene Version von dir«, erklärte er, »und somit um einen klassischen Fall von Übertragung: Du bist die Frau, die in sein langweiliges Leben tritt. Mit dir kann er auf eine Art sprechen, wie es ihm sonst nicht einmal mit seiner Partnerin möglich ist. Trotzdem braucht er dafür ein Deckmäntelchen, und das kommt in Gestalt dieser übermäßig sexuell geprägten weiblichen Person zum Ausdruck.«
    »Interessant«, meinte Frieda. »Ein bisschen zu sehr wie aus dem Lehrbuch, aber interessant. Andere Theorien?«
    Jack überlegte einen Moment. »Mir ist noch aufgefallen, dass er die ganze Zeit auf seinem Allerweltsgesicht herumreitet und ständig das Gefühl hat, mit anderen Leuten verwechselt zu werden. Es könnte ein Fall von Solipsismussyndrom sein. Du weißt schon, dieser gestörte Geisteszustand, in dem der Betroffene sich einbildet, die einzig reale Person zu sein, während alle anderen nur Schauspieler sind oder durch Roboter oder etwas Ähnliches ersetzt.«
    »In diesem Fall müsste man eine MRT-Aufnahme machen lassen.«
    »Es ist nur eine Theorie. Ich würde einen solchen Schritt erst empfehlen, wenn es darüber hinaus noch andere Anzeichen für eine kognitive Beeinträchtigung gibt.«
    »Weitere Möglichkeiten?«
    »Mir wurde eingebläut, wie wichtig es ist, dem Patienten gut zuzuhören. Vermutlich besteht durchaus die Möglichkeit, dass eine Frau ihn einfach nur

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