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Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift

Titel: Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Autoren: Eva Almstädt , luebbe digital
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ohne Broders Gesellschaft zu starten, auch wenn sie dadurch eine Auseinandersetzung mit ihm riskierte. Er erschien ihr für diese Unternehmung zu laut und aufdringlich. Seine Schuhe quietschten bei jedem Schritt, den er tat, und seine Lederjacke knirschte, wenn er die Arme anhob oder die Schultern straffte. Er beobachtete alles mit durchdringendem Blick, ihm entging nichts, was greif- und begreifbar war. Aber Pia bezweifelte, dass er empfänglich war für das, was sie insgeheim als unsichtbare Schwingungen bezeichnete. Alles, was das Unterbewusstsein wahrnehmen konnte, wenn man sich nur etwas Zeit und Muße dafür nahm.
    Sie hielt die Kopien der Tatortskizzen und der Karte vor sich und versuchte, sich vom Waldparkplatz ausgehend zu orientieren. Die Wege im Wald waren wie ein Netz gleichmäßiger Linien eingezeichnet, es gab wenig Orientierungspunkte: den Nordmannturm, den Kammweg, die Kreuzbuche ... Es war gut möglich, dass innerhalb von 20 Jahren neue Wege hinzugekommen oder alte zugewachsen waren. Pia blickte hinauf in die Baumkronen. Und wo bitte war jetzt Norden?
    Nachdem sie mehrere Wege ausprobiert hatte, stand Pia endlich vor einem merkwürdig verschlungen gewachsenen Baum, der auch auf der Tatortskizze eingezeichnet worden war. Von hier aus ging es quer durch das Unterholz zu der kleinen Lichtung, die sie suchte. »Trampelpfad« stand auf ihrer Beschreibung, aber es wies wenig darauf hin, dass dies mal ein Pfad gewesen sein könnte. Dann, als sie schon nicht mehr damit gerechnet hatte, richtig zu gehen, stand sie plötzlich auf der Lichtung.
    Ein paar Sonnenstrahlen linsten durch das ansonsten dichte frühlingsgrüne Blätterdach und zauberten eine heitere, unwirkliche Atmosphäre. Dieses war der Ort: Hier war damals das Verbrechen geschehen. Die Stelle war von keinem der Waldwege einsehbar.
    Pia stellte fest, dass das zarte, frische Gras unberührt war. Hier war lange kein Mensch mehr gewesen. Stattdessen sah sie Kaninchenkot wie Salmiakpastillen zwischen den Gräsern glitzern und angeknabberte junge Zweige an den umstehenden Büschen. Rehe und Hasen, vielleicht auch Wildschweine. Aber schon längere Zeit keine Kinder mehr.
    Dabei war der Platz hier im Wald wunderschön. Wenn man ihn als Kind entdeckte, konnte man sich seinem Zauber wohl kaum entziehen. Uneinsehbar, vermeintlich vor Erwachsenen geschützt, ein ideales Areal, um sich in eine Fantasiewelt zu begeben.
    Pia setzte sich auf einen Baumstumpf und starrte in die Baumkronen. Oben in einer alten Buche sah sie ein Brett, dann noch eines. Am Stamm des Baumes befanden sich zwei angenagelte Äste als Stufen. Das mussten die Reste des Baumhauses sein, von dem sie gelesen hatte. Es war nicht mehr viel davon übrig, ein paar Bretter nur, und die unteren Stufen fehlten ganz. Aber früher war es sicher ein tolles Versteck gewesen.
    Von dort oben hatte Marlene im Alter von zehn Jahren die Vergewaltigung ihrer zwei Jahre älteren Freundin beobachten müssen. Was für ein Schock, was für ein Albtraum! – das Baumhaus lag so hoch und uneinsehbar, dass der Mann sie nicht entdeckt hatte. Was hatte Marlene selbst von der Tat gesehen, was gehört?
    Nicht gerade verwunderlich, dass ihre Zeugenaussage fast unbrauchbar gewesen war. Insgeheim hatte sich Pia beim Lesen der Berichte gefragt, wieso Marlene nicht versucht hatte, Hilfe zu holen. Aber hier, auf der Waldlichtung, wo es geschehen war, leuchtete ihr ein, dass ein verängstigtes Kind nicht den Baum hinunterklettern konnte, quasi direkt am Täter vorbeirennen, durchs dichte Unterholz, dann den Waldweg entlang, bis es vielleicht irgendwo, auf dem Parkplatz oder noch weiter weg, hoffen konnte, auf Hilfe zu treffen.
    Marlene hatte sich dort oben verborgen gehalten, ängstlich darauf bedacht, nicht bemerkt zu werden. Erst als der Vergewaltiger wieder weg war, hatte sie sich getraut, ihrer Freundin zu helfen. Die Mädchen waren den Polizeiberichten zufolge irgendwann zusammen in der Wohnung von Dorothea Bauers Mutter angekommen und hatten sich versteckt. Sie waren allein dort gewesen, denn Dorotheas Mutter war zu diesem Zeitpunkt schon zur Arbeit in die Kneipe aufgebrochen. Dorothea Bauer hatte Marlene angeblich mehrfach schwören lassen, niemandem etwas zu verraten.
    Doch als Marlene nach Hause musste, hatte sie ihren Eltern nach einigen Nachfragen doch erzählt, was am Nachmittag passiert war. Daraufhin war die Polizei informiert worden, und die Ermittlungen hatten ihren Lauf genommen ...
    Die Leidtragende war in
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