Blaufeuer
Sie wollte Optimismus verbreiten. Weil sie wusste, dass jeder sie anstarren würde, hat Janne ihre Kleidung mit Bedacht gewählt: ein fein gestrickter schwarzer Kaschmirpulli mit kurzen Ärmeln, der rot karierte Rock knielang, schwarze Stiefel. Nahezu witwenhaft. Nichts, worin eine Frau sich nackt fühlen könnte. Die Blicke haben sie trotzdem ausgezogen. Sie hat gekniffen, ist allen wortlos ausgewichen. Viel hätte nicht gefehlt, und sie wäre in Eriks Büro gerannt, den Blick zum Boden gerichtet. Schwach, sehr schwach. Keine Rede, kein Händeschütteln - jede gute Praktikantin hätte mehr Selbstbewusstsein an den Tag gelegt.
Nun sitzt Janne vor dem Becher mit schwarzem Kaffee, den sie sich von der Sekretärin Gabriele Bremer hat bringen lassen,und betrachtet ihre Fingernägel, die kurz geschnitten sind und unlackiert. Unverkennbar die Nägel einer Geigerin und nicht die einer Geschäftsfrau. Das hat Janne auch am Vormittag gedacht, als sie ihre Unterschrift unter diverse Bankvollmachten setzen musste. Ihrem Vater ist es mit seinen Plänen für sie tatsächlich ernst, bereits vor seinem Schlaganfall hat er alles juristisch Nötige in die Wege geleitet. Wie konnte sie sich nur darauf einlassen? Sie kauert auf Eriks Ledersessel wie ein Passagier mit Flugangst in einem Jet vor dem Transatlantikflug.
»Wollen Sie nicht ein paar Worte zu den Kollegen sagen?«, fragt Gabi Bremer, nachdem sie zweimal Kaffee nachgeschenkt hat.
»Sieht es so aus?«
Die Sekretärin, eine bieder gekleidete Dame mit brünett gefärbtem Kurzhaarschnitt, Ende fünfzig, hebt die sorgsam gezupften Brauen. »Wie bitte?«
»Erwecke ich den Anschein, eine Rede halten zu wollen?«
»Im Moment eher nicht«, antwortet Gabi Bremer, die seit dem ersten Tag bei der Flecker-Werft beschäftigt ist. Janne hat in der Vergangenheit selten mehr als drei Worte mit ihr gewechselt, weiß aber, dass ihr Vater sie sehr schätzt. »Aber ich denke, es wäre vielleicht angemessen. Die Arbeiter erwarten das sicher von Ihnen.«
»Vielen Dank für den Hinweis. Wenn ich mehr über Ihre Einschätzung erfahren will, werde ich nicht zögern, Sie zu fragen.«
Gabi Bremer braucht etwas länger, um die Bemerkung zu verarbeiten. »Wie Sie meinen«, sagt sie dann und rauscht mit schockgefrorener Miene aus dem Büro.
Janne schaut ihr nach. Nach einer Weile meldet sich das schlechte Gewissen, weil sie ihre Wut über die eigene Unsicherheit an der Sekretärin ausgelassen hat. Ein weiterer Akt der Selbstdemontage. Nichtsdestotrotz hält sie die Frau für herrisch.
Da sie keinen Schimmer hat, womit sie ihre neue berufliche Herausforderung beginnen soll, widmet Janne sich zunächst der Abwicklung der vorangegangenen. Der Dirigent der Deutschen Philharmonie Berlin hat ihre schriftliche Kündigung erhalten und zeigt sich am Telefon wenig betroffen über den Abgang in den zweiten Geigen. Jannes Vertrag wäre ja ohnehin zum Jahresende ausgelaufen, und über eine Fortsetzung hat man noch nicht verhandelt. Er wünscht ihr alles Gute und fragt nicht einmal nach ihren Plänen für die Zukunft. Sie ist erschüttert.
Desillusionierend gestaltet sich auch die Unterhaltung mit Nils, den sie als Nächstes anruft.
»Ich bin in Eriks Büro.«
Langes Schweigen. »Und wie ist es so?«
»Seltsam.« Jannes Blick wandert über den Schreibtisch. Gerahmte Fotos. Die Familie auf der Yacht Viktoria. Sein Hochzeitsbild: er im sandfarbenen Anzug, Hella in makellosem Weiß, Kirschblüten im Haar. Janne kneift die Augen zusammen.
»Du schaffst das sicher. Vielleicht hat es sogar sein Gutes. Was uns betrifft, meine ich. Verstehst du?«
»Offen gestanden überhaupt nicht«, sagt sie und lauscht seinen schnellen Atemzügen. Im Hintergrund klackert die Tastatur seines Computers. Sie sieht ihn vor sich, seine fahrigen Handbewegungen, das Gezappel auf dem Stuhl. Stillsitzen gehört nicht zu seinen Stärken.
»Ich meine, weil wir zwar getrennt sind, aber weiterhin zusammengelebt haben, was natürlich irgendwie schön war, aber gleichzeitig kompliziert, und womöglich wird vieles einfacher, wenn es eine räumliche Distanz zwischen uns gibt.«
»Womöglich«, sagt Janne kühl. »Hast du übrigens vor, die Wohnung zu behalten? Für dich allein ist sie ja ziemlich groß. Und teuer.«
»Du, das kriege ich schon auf die Reihe. Mach dir darüberjetzt keine Gedanken. Jedenfalls wünsche ich dir alles Gute mit der Werft. Ich weiß, du wirst eine großartige Chefin werden. Sie werden dich lieben. Und falls ich
Weitere Kostenlose Bücher