Blaufeuer
Hella betrogen hat? Glaubst du, sie hat ihn deswegen umgebracht?«
»Ich glaube gar nichts«, sagt Birger Harms. »Nur an das Schlechte im Menschen.
PAUL
Er ist noch immer im Meer, aber nicht länger allein. Jemand spricht mit ihm. Birger Harms, der alte Bandit mit seinen langen Zotteln. »Da kommt die Biggi«, haben die Kollegen immer gelästert, aber der Mann kann Spaß vertragen. Natürlich nur bis zu einem gewissen Punkt. Niemand ist ohne Schwächen, und wer vorankommen will, sollte sich zunächst mit den eigenen vertraut machen, bevor er bei anderen auf die Suche danach geht.
Paul Flecker weiß, er selbst ist am verwundbarsten, wenn seine Herkunft zur Sprache kommt. Er wollte schon immer zu denjenigen gehören, die in der Gesellschaft etwas darstellen und vor denen sich das Heer der Namenlosen verneigt. Er wollte dahin, wo die Aussicht am besten ist: nach oben. Als Kleinkind in Schlesien spielte er mit dem Sohn des Gutsherrn. Nach der Flucht eignete er sich frech dessen Geschichte an und erzählte allen in der neuen Heimat von den verlorenen Ländereien im Osten. Nicht, dass es jemanden interessiert hätte. Als Fluchtlingsjungeohne Vater war er im Norden ein Niemand - so oder so. Mit seiner großbürgerlichen Heirat und dem Kauf der Werft hat er es später allen gezeigt. Aber er musste stets aufpassen, dass sein Geltungsdrang ihm nicht zum Verhängnis wurde, und nun, da sein irdisches Dasein beendet scheint, ist er nicht sicher, ob ihm das gelungen ist.
Birger redet, und Paul treibt im ruhigen Fluss seiner Worte. Er versteht nicht, was der Freund sagt, aber er ist gerührt. Was er mit der Werft erreicht hat, wäre ohne diesen Mann undenkbar gewesen. Außer seinem Sohn Erik ist er nie jemandem begegnet, der mehr vom Bootsbau und der See versteht als Birger. Der hätte seine eigene Werft haben können, ach was, ein ganzes Imperium, er hätte jedes Schiff der Welt bauen und besitzen können, hätte ihm sein Naturell nicht im Weg gestanden. Denn er ist ein Spieler. Ein Zocker im übelsten Sinn - zum Glück für Paul Flecker. Er hat nicht gezählt, wie oft er für den fünfzehn Jahre älteren Freund die Schulden getilgt hat, auch nicht die Gelegenheiten, bei denen er ihn aus irgendwelchen Kasinos und Spielerspelunken zurück an seinen Arbeitsplatz zerren musste. Je kleiner das Gehalt, desto besser konnte Birger damit umgehen - welch ein Gewinn für die Firma. Leider hat es eine Weile gedauert, bis er einsah, wie gut es Paul Flecker mit ihm meinte. Und es hat vereinzelt Situationen gegeben, in denen die anfängliche Verbitterung erneut durchbrach.
Seltsam. Es ist, als wäre Birger Harms seinen Überlegungen gefolgt, denn plötzlich verhärtet sich der Klang seiner Stimme und das Plätschern wächst zu einem zornigen Getöse heran. Paul weiß es, Birger weiß es: Sie sind einander schon seit langem ausgeliefert - nun jedoch mit umgekehrten Vorzeichen. Das Meer bietet keinerlei Schutz, und Paul merkt, wie es wieder eng wird in seiner Brust.
Die schwärzeste Nacht
JANNE
Der Schlüssel steckt von innen. Nach der langen Fahrt ist Janne müde, zumal sie in Brandenburg fast eine Stunde im Stau stehen musste. Im Regen. Sie hat es eilig, in die Wohnung zu kommen. Das blockierte Schlüsselloch bringt sie in Rage. Sie drückt auf die Klingel. Es läutet, aber sonst passiert nichts. Sie legt das Ohr an die Tür und hört Musik, die ihr nicht bekannt vorkommt. Eine Popballade. »Großartig.«
Janne klingelt Sturm, und die Musik wird abgeschaltet. Sie hört schnelle Schritte. Rasch tritt sie zurück. Nils öffnet in T-Shirt und Unterhose, die Locken zerzaust.
»Janne.« Er ist angespannt und wirkt ungefähr so erfreut, als wäre sie von der GEZ.
»Ja, ich bin es, leibhaftig. Hast du geschlafen, oder wie? Du hast vergessen, den Schlüssel abzuziehen.«
Sie schiebt ihn beiseite und dringt in den Flur vor. Es riecht anders als sonst, nach kaltem Zigarettenrauch und einem Parfüm, das sie nie benutzt hat. Jemand hat gekocht, ungewohntes Essen, irgendetwas mit Ingwer. Sie verabscheut Ingwer. An der Garderobe hängen ein roter Mantel, ein bunt geringelter Schal,ein Strickponcho und eine graue Webpelzjacke. Frauenkleider, und zwar entschieden zu viele für einen Kurzbesuch.
»Warum hast du nicht vorher angerufen?«, will Nils wissen.
»Wieso sollte ich? Wer ist sie?«
»Wer ist wer?«
»Die Frau, der diese Klamotten da gehören und die mit Ingwer kocht.«
»Du hast eine verdammt gute Nase.« Er fährt sich
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